SWR2 Wort zum Tag

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„Wie hält es die Mitte mit ihren Rändern?“ Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg stellt diese Frage, und er sagt, es sei „sei weise und klug, so zu fragen“. „Denn die Ränder“, so meint er, „bestimmen insgesamt die Form einer Gesellschaft, ihre Lebensform.“
Die Caritas zitiert diese Sätze in ihrer neuen Jahreskampagne. Es stimmt: Wie gut oder wie verbesserungswürdig unser Miteinander ist, das zeigt sich nicht in der abgesicherten Mitte, sondern an den Rändern. Die Ränder: das sind die Wohnungslosen, deren Zahl man hierzulande auf rund 400.000 schätzt – genau weiß es niemand. Das ist die große Zahl allein Erziehender und ihrer Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind. Weit über 600.000 Erwachsene und eine Million Kinder sind es nach jüngsten Untersuchungen. Das sind zahlreiche Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien, die nur mühsam ihren Weg in unseren Schulen und yArbeitsleben finden. Das sind Kinder und Jugendliche, die in schwierigen Familienverhältnissen verwahrlosen.
„Wie hält es die Mitte mit den Rändern?“ Nimmt man von der Mitte der Gesellschaft her die Menschen an den Rändern überhaupt wahr? Ist es sogar so, dass man sich von ihnen scharf abgrenzt, weil die Angst zunimmt, selbst aus der Mitte an den Rand gedrängt zu werden? Aber wie soll eine Gesellschaft gesund bleiben, wenn sie an den Rändern leidet und wenn dieses Leiden immer mehr zur Mitte vordringt?
Die Frage nach der Mitte und den Rändern ist auch eine Anfrage an die Kirche. Wir sprechen in der Kirche oft von „Randgruppen“ und von „Randgruppenseelsorge“. Wenn ich aber an den Auftrag Jesu denke, an die „Hecken und Zäune“ zu gehen und die Menschen einzuladen zur Gemeinschaft mit ihm, dann frage ich mich, ob denn nicht die Menschen an den Rändern zum Zentrum der kirchlichen Sorge gehören und ob nicht manches, was zentral und wichtig erscheint, eher eine Randfrage ist. Welchen Platz haben in unseren Kirchengemeinden die Familien in sozial schwierigen Verhältnissen; die Kinder und Jugendlichen, denen schon früh jede Zukunftsperspektive abhanden gekommen ist? Wo finden wir die Arbeitslosen und die Hartz IV-Empfänger? Wo wird den Armen, die immer mehr werden, ihre so oft beschädigte Würde zurück gegeben?
Wie wir mit den Rändern umgehen, bestimmt das Bild. Das gilt für die Kirche und für die Gesellschaft insgesamt. Aber die Kirche, die Gemeinden, ich als einzelner Christ – wir könnten beispielgebend dafür sein, was für die Gesellschaft überhaupt gut ist. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5548
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