Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn meine Freundin richtig frustriert ist, geht sie in die Stadt und kauft sich was zum Anziehen: Irgendeinen Fummel, sagt sie, und wenn’s nur ein Tuch ist. Dann geht’s mir sofort besser.
Vielleicht ist das ein bisschen typisch Frau. Aber spätestens beim nächsten Vorstellungsgespräch hat auch Mann ein Thema mit der Kleiderordnung. Was soll ich anziehen, damit ich anziehend wirke? Und wie schaff ich das, mir keine Blöße zu geben?
Oder anders gesagt: Alles, nur nicht sich schämen müssen.

Scham, sagt die Bibel, ist Folge von Sünde. Und erzählt, wie es dazu kam. Adam und Eva verstoßen gegen Gottes Gebot. Sie essen vom Baum der Erkenntnis zwischen gut und böse und prompt schämen sie sich. Schämen sich so sehr, dass sie ihre Blöße mit Blättern bedecken – mit paradiesischen Fummeln sozusagen. Und weil sie sich vor Gott immer noch nackt fühlen, verstecken sie sich vor ihm. Wie kleine Kinder, die was ausgefressen haben. Die Scham zeigt: da ist ein Riss. Ein Riss in ihrer Beziehung zu Gott. Ein Riss im Vertrauen.

Als Gott sie im Garten Eden sucht, meinen sie, er würde sie beschämen wollen.
Aber Gott will weder bestrafen noch beschämen. Gott ruft sie, weil er in Sorge um sie ist. Und als er sie findet, erklärt er ihnen, welche Folgen ihr Wissen um gut und böse für sie haben wird. Dass da harte Arbeit auf sie zukommen wird und Ärger und Schmerzen. Und dann macht er etwas ganz und gar Berührendes: Er macht ihnen „Kleider aus Fell“, wie es heißt, Pelzmäntel. Paradiesische Fummel als Schutz gegen den rauen Wind jenseits von Eden.

Beschämung ist also Gottes Sache nicht. Scham- das ist doch die letzte dünne Haut über unserer Würde. Und die tastet nicht einmal Gott an. Auch wenn er zornig ist.

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ So heißt das in einem Psalm. Gott schützt uns in unsrer Verletzlichkeit. Und will, dass wir einander auch nicht beschämen.

So gesehen hat meine Freundin ein geradezu geniales Erste-Hilfe-Notprogramm entdeckt. Wenn sie frustriert und verletzt ist: Ein Fummel, der die Blöße bedeckt. Wie Gott damals im Paradies. Muss ja nicht immer ein teurer Pelzmantel sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5541
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