SWR2 Wort zum Tag

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Ein traumatisches Erlebnis muss das gewesen sein. Da haben Menschen Jahrzehnte an dem riesigen Gebäude gearbeitet – und in der Nacht vor der Eröffnung brennt es fast völlig ab. Vor 1000 Jahren erlitt der Mainzer Dom dieses Schicksal. Sicher, Brände waren damals an der Tagesordnung. Die Häuser waren vor allem aus Holz und Stroh gebaut – da konnte schon ein Funke, ein Blitz, eine Fackel verheerende Folgen haben. Doch Häuser lassen sich schnell wieder aufbauen, ein Dom aber braucht Zeit. Zumal der Mainzer Dom nicht irgendeine Kirche war. Erzbischof Willigis errichtete eine Kirche, in der mehr Menschen Platz fanden, als Mainz damals Einwohner hatte. Diese Kirche hatte Größeres im Sinn. Sie sollte vor allem zeigen, wie bedeutend der Erzbischof von Mainz war. Dafür orientierte man sich beim Bau an nichts geringerem als dem Petersdom in Rom. Und Erzbischof Willigis handelte das Recht aus, alleiniger Stellvertreter des Papstes im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu sein. Bei Kaiserkrönungen durfte nur der Mainzer Bischof den Papst vertreten.
Und trotz aller Machtfülle erleidet der Mainzer Dom ein ganz profanes Schicksal. Er brennt ab; sieben, acht Mal in seiner Geschichte steht er in Flammen. Er wird von Armeen beschossen, fast abgebrochen, ausgeraubt. Der Dom hat viel gesehen – und oft viel banalere Dinge als Kaiserkrönungen und Pontifikalämter. Er diente als Kaserne und Magazin, in ihm wurden Verwundete gepflegt und er musste auch als Viehstall herhalten.
All das macht mir diesen Dom sympathisch. Weil seine Geschichte vor allem die Geschichte seines Überlebens ist. Er hat alles überstanden in den letzten tausend Jahren. Mit vielen Wunden und Verletzungen, aber er hat’s überlebt. Das imponiert mir. Und macht mir Mut. Mir geht’s oft ähnlich wie diesem Gebäude. Ich hab große Pläne – und manches Mal stürzen sie ein. Ich habe Ideen, Visionen, Träume, und die Realität ist oftmals ganz banal. Manchmal stehe ich unter Beschuss, muss mich wehren, und trage nicht selten Niederlagen davon. Eigentlich alles ganz normal, so wie es halt im Leben passiert. Und trotzdem immer wieder schmerzhaft. Wenn das so ist, hilft mir der Dom wieder in die Spur zurück. Weil er sagt: Auch Niederlagen lassen sich überleben, auch, wenn scheinbar alles abbrennt. Es sind immer wieder Menschen da, die diesen Dom aufgebaut haben – und die mir vielleicht auch wieder auf die Beine helfen, wenn’s mal wieder brennt bei mir.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5530
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