Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Was man nicht hat braucht man nicht.“ Ein provozierender Satz. Auch missverständlich. Der Satz soll kein billiger Trost sein für Menschen, denen es am Lebensnotwendigsten fehlt.

„Was man nicht hat braucht man nicht.“ Das ist einer der Aussprüche unserer verstorbenen Mutter. Von ihrer Lebensgeschichte her kann man verstehen, was sie damit gemeint hat – und welche Weisheit darin steckt.

1927 wurde meine Mutter geboren. Das bedeutet: Kindheit und Jugend vor und im Zweiten Weltkrieg. Und die schwierige Zeit nach dem Krieg. Die Familie musste schauen, wie sie über die Runden kam. Der Vater, ein tüchtiger Schreinermeister, hat Möbel gebaut und sie bei Bauern gegen Kartoffeln getauscht – damit seine Familie etwas zu essen hatte. Das waren prägende Jahre für meine Mutter. Einerseits war es schwer für sie, es war eine Zeit der Entbehrungen. Aber andererseits hat sie gelernt, mit wenigem auszukommen, mit dem, was man hatte. Das hatte auch seine gute Seite: Sie hat einen Blick dafür gewonnen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Vom Materiellen, vom äußeren Wohlstand konnte ihre Generation das Lebensglück damals nicht erwarten. Also war der Blick frei für tiefere Werte, die das Dasein lebenswert und schön machen.

„Was man nicht hat braucht man nicht.“ Darin spiegelt sich eine Grundhaltung. Eine gewisse Anspruchslosigkeit in dem, was ich brauche oder eben nicht brauche, um glücklich zu sein. Es ist wichtig, dass jemand sich seines Lebens freut und sich auch etwas gönnen kann. Genauso wichtig ist das Gespür für das, was uns innerlich erfüllen kann, was ein Menschenleben sinnvoll macht. Wohl dem, der sich die eigene innere Freiheit bewahrt – statt sich abhängig zu machen von den Glücksversprechungen der Werbung. „Wenn ich das und das nicht habe, dann kann es mir nicht gut gehen.“ Solch eine unbewusste Bedingung schleicht sich leicht ein. Aber damit mache ich mein Lebensglück abhängig von etwas, das es gar nicht bringen kann – und ich verpasse ein gutes Stück wirkliche Lebensqualität. Schade, wenn das Herz besetzt ist vom Haben-Wollen und von künstlich geweckten Bedürfnissen. Da kann die Lebensweisheit meiner Mutter eine hilfreiche Provokation sein: „Was man nicht hat braucht man nicht.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5520
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