Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Geschäfte werden geplündert, Autos in Brand gesteckt, ganze Straßenzüge verwüstet: Immer wieder kommt es zu Krawallen, oft von jungen Menschen. Straßburg und Paris werden öfter davon heimgesucht. Im Dezember kam es in Griechenland zu Unruhen. Kürzlich sind sie wieder aufgeflammt. Dabei wird nicht nur der öffentliche Friede gestört. Es kommt zu beträchtlichen Zerstörungen. Das ist natürlich kriminell und entsprechend zu ahnden. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Wichtig wäre, auch die andere Seite zu betrachten: Was sind die Ursachen? Wie kommt es dazu, dass gerade junge Menschen sich so verhalten? Warum brauchen sie ein solches Ventil?

Wir haben ein Zeugnis davon. Bei den Unruhen in Griechenland kam der 15jährige Alexandros ums Leben – durch eine Polizeikugel, vermutlich einen Querschläger. Seine Freunde haben danach einen offenen Brief verfasst. Darin halten sie der Gesellschaft einen Spiegel vor. Sie schreiben:

„Wir sind eure Kinder!
Wir haben Träume, wir sind übermütig –
tötet unsere Träume nicht, tötet nicht unseren Übermut.
Auch ihr wart mal jung. Aber das habt ihr vergessen.
Jetzt jagt ihr nur noch dem Geld nach.
Wir hatten erwartet,
dass ihr uns unterstützt,
dass ihr euch für uns interessiert,
dass ihr uns stolz macht –
vergeblich.
Ihr lebt ein verlogenes Leben,
ihr lasst die Köpfe hängen,
ihr habt die Hosen voll
und wartet auf den Tag, an dem ihr sterben werdet.
Ihr habt keine Phantasie,
ihr verliebt euch nicht,
ihr seid nicht kreativ.
Ihr kauft nur und verkauft.
Überall Waren.
Nirgendwo Liebe – nirgendwo.“

Dieser Brief ist ein Hilfeschrei. Die Jugendlichen sind bodenlos enttäuscht – von ihrer Elterngeneration, von der Gesellschaft. Ihnen fehlt das Entscheidende im Leben: Verständnis, Zuneigung. Bezeichnend der Schlusssatz: „Nirgendwo Liebe – nirgendwo.“ Es fehlen ihnen Vorbilder, überzeugende Lebenskonzepte. Die Krawalle sind Ausdruck ihrer Verzweiflung: Sie verzweifeln an der Gesellschaft, weil sie ihnen keinen Halt gibt und keine Perspektiven eröffnet.

Bei uns gibt es noch keine solchen Krawalle. Aber es gibt genügend Anzeichen dafür, dass es vielen jungen Menschen ähnlich geht. Es täte den Jugendlichen und der Gesellschaft gut, wenn wir uns dieser Herausforderung stellen.

Quelle für den Brieftext: Die Rheinpfalz – Sonntagszeitung vom 12.12.2008
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5519
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