SWR2 Wort zum Tag

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Ein Hund, der für seine Weisheit weithin bekannt war – so erzählt es der libanesische Schriftsteller Khalil Gibran in seiner Fabel über den Sinn des Betens – ein weiser Hund also traf auf eine Horde Katzen. Sie hockten im Kreis auf der Straße und bemerkten den Hund gar nicht, wie er sich ihnen langsam näherte. Viel zu beschäftigt waren sie mit sich selbst.
In ihrer Mitte stand ein Kater, der salbungsvolle Reden schwang:
„Betet, liebe Schwestern und Brüder, betet nur – und wenn ihr inbrünstig und lange ge-nug betet und kein Zweifel in eurem Herzen lauert, so wird euer Gebet erhört und – ja, es wird wahrhaftig Mäuse vom Himmel regnen.“
Das reizte den weisen Hund zum Lachen: „Was sind Katzen doch für einfältige Geschöp-fe“, dachte er bei sich. „Steht nicht geschrieben und weiß es so nicht jedes Kind von klein auf, dass es zum Lohn für ein aufrichtiges Gebet niemals Mäuse, sondern Knochen vom Himmel regnet?“
Gibrans Fabel ist raffiniert, weil sie um die Ecke denkt: Wie einfältig von diesem so ge-nannten weisen Hund! Wie wenig schaut er selbst über den Rand seines Fressnapfes! Während der Hund über die Katzen lacht, lache ich, der Zuhörer dieser Fabel, über den Hund – und fühle mich im nächsten Moment überführt. Schon halte ich mich selbst für klüger und muss mich fragen lassen, ob ich denn über meinen eigenen Tellerrand blicke.
Natürlich mischt sich ins Beten stets die Erwartung, dass letztlich meine Wünsche befrie-digt werden – und zwar genau so, wie ich es mir vorstelle. Steht es nicht so auch in der Bibel: „Bittet, so wird euch gegeben“?
Doch wenn ich Beten nur als Wunscherfüllung verstehe, dann habe ich etwas missver-standen. Gott ist kein Automat. Und beim Beten kommt es nicht auf sachgerechte Bedie-nung an.
Beten ist Nachdenken und Beten ist Glauben. Im Gebet meditiere ich mich selbst, meine Wünsche, meinen Lebenshorizont – und ich überschreite ihn zugleich. Ich werde mir klar darüber, was ich zum Leben benötige – aus meiner Sicht. Aber ich werde auch offen da-für, etwas zu empfangen und anzunehmen, was meine jetzige Erwartungshaltung über-steigt. Was mir gegeben wird und was ich damit anfangen kann, ist nicht schon von vor-neherein eindeutig. Es entsteht. Es wird sich zeigen.
Im Gebet vertraue ich mich Gott an und ich verändere mich dabei: Ich werde von einem Menschen, der fordert, zu einem, der empfängt. – Schließlich könnte es noch mehr geben als Mäuse und Knochen.
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