SWR2 Wort zum Tag

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Fasten ist aus der Mode gekommen – jedenfalls, sofern man „religiöses Fasten“ meint. Fasten dient heute vorrangig dem Abnehmen. Fastenkuren trimmen den Körper auf Linie – lean management am eigenen Leibe sozusagen.
Das ist nicht verkehrt – zumal bei einer Ernährung, die den Körper schon gewohnheits-mäßig mit Fetten und Schadstoffen überfüttert und an Vitaminen und Ballaststoffen spart. Fasten entschlackt und reinigt – und es schafft Platz im Körper wie im Kopf, die alt herge-brachten (und oft missratenen) Ernährungsgewohnheiten umzustellen.
Doch Fasten ist mehr als das. Es ist mehr als bloßes Verschlanken, mehr als der Weg zu einer gesunden Ernährung. Die religiösen Lehrer unterschiedlicher Traditionen und Zeiten setzten aufs Fasten als einen Prozess innerer, das heißt seelischer Reinigung.
Vieles stürmt tagtäglich auf uns ein, das unsere Seele verunreinigt: Pessimistische Kultur-kritiker geißelten vor Jahrzehnten noch das Fernsehen und die Werbung dafür, dass hier-mit die Innenwelt des Menschen beschädigt werde. Heute klingen ihre Mahnrufe wie Verse fürs Poesiealbum. Programmangebote via Satellit sowie das Internet sprengen demge-genüber jede Dimension, was die täglich bereitgestellten Datenmengen anbelangt. Auch hier kann also Entschlackung angesagt sein.
Die evangelische Kirche propagiert seit vielen Jahren die Aktion „Sieben Woche ohne“ als eine Form modernen, zeitgemäßen Fastens. Man kann ja schließlich auch auf anderes ver-zichten als auf fettes Essen oder Fleisch, zum Beispiel auf Schokolade, Kaffee oder Ziga-retten. Man kann verzichten aufs Autofahren im Nahbereich der Wohnsiedlung, aufs Fern-sehen oder aufs private Telefonieren mit dem Handy unterwegs.
Verzicht kann eingeschliffene Gewohnheiten außer Kraft setzen und Anregungen geben, sozusagen gegen den Strich zu leben. Unser Lebensstil ist geprägt von industrieller Wa-renproduktion und von einer Selbstbedienungsmentalität der schnellen Befriedigung und der kurzen Wege. Verzicht stellt diese süßen Konsumgewohnheiten in Frage – und das kann im wahrsten Sinne ernüchternd wirken, denn es offenbart auch Suchtphänomene.
So verstanden wirkt Fasten nicht nur verschlankend, setzt auch nicht nur Lebenszeit frei für anderes, sondern öffnet tatsächlich das Bewusstsein.
Aber wird das nicht schnell zwanghaft und moralisch? Nein, nicht wenn ich selbst das Subjekt meiner Fastenentscheidung bleibe. Denn es ist ja meine Freiheit zu wählen, was ich lassen will. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5506
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