SWR2 Wort zum Tag

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Eine schöne Frau, ein schöner Mann, ein hinreißendes Naturschauspiel, ein Sonnenuntergang – faszinierend ist das allemal. Schönheit lockt und ist attraktiv. Warum sonst gehört sie zur Werbung? Warum boomt die Schönheitschirurgie ? Was wäre das Leben ohne schöne Menschen und Dinge, ohne die Lust am Dasein und das Spiel der Verführung? Merkwürdig genug, dass man sich unter Christen und in den Kirchen viel zu wenig um das Thema kümmert. Schönheit scheint da ein Fremdwort zu sein. Umso aufregender sind die Schriften, die man im Nachlass von Simone Weil fand. Vor 100 Jahren geboren, hat sie ein ganzes Archiv von sprühenden Gedankensplittern hinterlassen – und Schönheit ist das zentrale Thema.
Sie stellt fest: Was schön ist, fasziniert und zieht an, aber es gebietet auch, fordert Abstand und Respekt. Denn schön ist „das, was man nicht verändern will“ (I 204), sagt die französische Denkerin mit Recht. Schönes will niemand verschönern. Deshalb gehen wir mit schönen Dingen achtsam um. Da kommt eine Art von Respekt ins Spiel. Schönheit kann überwältigen. „Das ist ja nicht zu fassen“, sagen wir dann . Beglückend ist die Nähe schöner Menschen, wir sind hingerissen, „hin und weg und voll da“ – und doch ist das, was wir als schön empfinden, wie unerreichbar. Es will erobert werden oder verehrt sein, angeschaut und einfach bewundert. Simone Weil sagt es so: „Der Blick und das Warten, das ist die Haltung, die dem Schönen entspricht. Solange man denken, wollen, wünschen kann, erscheint das Schöne nicht.“ (III 77) Man kann es nicht herbeizitieren, es zeigt sich von allein.
Simone Weil hat die Erfahrung des Schönen mit dem Religiösen verknüpft: Wo von Gott die Rede ist, da sind wir überwältigt. Wir spüren die förmlich unendliche Distanz: Gott ist Gott, und wir sind Menschen – und zugleich spüren wir die ausstrahlende Nähe und heilende Kraft. Nirgends sei der Mensch dem Geheimnis, das wir Gott nennen, näher, als dort, wo es um Schönheit geht. „Ein geheimnisvolles Gesetz bewirkt, dass ein Mensch, der Gott berührt, in diesem Augenblick schön aussieht,“ sagt Simone Weil. (III 77) Von gottergriffenen Menschen geht in der Tat oft eine besondere Ausstrahlung aus. Ihnen ist anzuspüren, dass sie betend noch in einer Welt zu Hause sind. Sie leben, wenigstens ein bisschen schon, im Einklang mit sich selbst und mit allem, was geschieht. Schön ist, was stimmig wird.
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