SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten.“ (Betz 92) So notiert Simone Weil. Vor 100 Jahren geboren, ist sie eine der großen Zeuginnen mystischer und politischer Spiritualität. Auf den ersten Blick klingt der Satz wie eine Binsenwahrheit. Aber was selbstverständlich scheint, ist bei Licht besehen hintergründig und von letztem Wert. Hat sie nicht recht, diese französische Denkerin? Kann ich denn Liebe aktiv suchen oder gar erzwingen? Lässt sich Freundschaft einfach willentlich herstellen? Oder das kleine und große Glück: Liegt es denn wirklich in unserer Macht, könnten wir es gar produzieren? Nichts davon. „Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten. Denn der Mensch kann sie aus eigenen Kräften nicht finden, und wenn er sich auf die Suche nach ihnen begibt, findet er statt ihrer falsche Güter, deren Falschheit er nicht zu erkennen vermag ...“ Simone Weil macht deutlich: Das, was wir wirklich ersehnen und erhoffen, können wir selbst weder leisten noch erzwingen. Es stellt sich ein, es will und muss erwartet werden, wir können nur darum bitten – aber es ist und bleibt Geschenk. Das, was wir am dringendsten brauchen, können wir uns selbst nicht besorgen: Simone Weil plädiert entschieden für eine Grundhaltung des Wartens, der Offenheit. Voll Vertrauen da sein, empfänglich und wirklich bereit. Aufmerksamkeit nennt sie das, wachsame Präsenz und ständige Bereitschaft, sich beschenken zu lassen. In spirituellen Dingen ist Zielstrebigkeit ein zwiespältige Sache. Absichtlose Präsenz, durchaus überraschungsfähig, ist besser.
Da kommt der Gast mit Blumen in der Hand und überreicht sie den gastgebenden Personen, meistens der Frau. Kaum sieht sie die Blumen, sagt sie schon: „Das war aber nicht nötig“. Und Recht hat sie! Geschenke sind nicht nötig, und wer sie von vornherein einplanen, würde sie missbrauchen. Nein, Geschenke sind nicht nötig, sie sind mehr als nötig, sie machen das Leben erst lebenswert. Wir können sie nicht gezielt suchen und herbeizwingen. Wir können sie uns nur schenken lassen – hoffend dabei, dass kein Hintergedanke sie beschmutzt oder entwertet. Genau so sei es mit der Wahrheit, mit dem Guten, mit Gott – meint Simone Weil. „Das war aber nicht nötig“, in der Tat. „Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten.“ Also erwarten wir diesen Tag, gehen wir offen hinein, gespannt und überraschungsfreudig, empfänglich und immer im Wissen, dass uns ein Geschenk begegnet, das wir weder verdient noch gesucht haben. Spannend wird das, und vor allem: geschenkt.
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