Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Er war keiner, der seine Kritik vorsichtig formulierte. Diplomatie war für ihn ein Fremd-wort. Und das Vier-Augen-Gespräch lag ihm nicht. Paulus, einer der großen Apostel da-mals vor zweitausend Jahren, übte seine Kritik deutlich und öffentlich. Nicht nur die ge-genüber seinen Gemeinden – sondern auch die gegenüber Petrus, dem Felsen, dem Chef der Jerusalemer Urgemeinde. Paulus schreibt in einem Brief: „Als Petrus nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hat-te.“ (Gal 2,11ff.). Und weiter heißt es: „In Gegenwart aller“ habe er Petrus zurechtgewie-sen. Es ging natürlich nicht um irgendwelche Kleinigkeiten. Es ging für Paulus ums Gan-ze: Petrus hatte die neuen Christen in Antiochien vor den Kopf gestoßen. Feige hatte er sich von der Tischgemeinschaft mit ihnen zurückgezogen, weil er auf seine alte Gemeinde und deren Regeln Rücksicht nehmen wollte. Paulus war entsetzt und gab Petrus vor aller Augen und Ohren zu verstehen: So geht es nicht, lieber Petrus!
Das klingt mutig, und man möchte fast rufen: richtig so, gib’s ihm! Aber wenn es darum geht, selbst so mutig zu sein, zieht man ja doch oft eher den Kopf ein. Offen entgegen-treten, das ist gar nicht so einfach. Jedenfalls gegenüber denen, die etwas zu sagen und zu entscheiden haben. Leichter fällt es einem, die zu kritisieren, die einem nicht viel an-haben können. Untergebene mal ordentlich zusammenstauchen oder gegenüber den Kin-dern laut werden: Das ist vergleichsweise einfach. Schwerer wird es, wenn der Kollege neben einem Mist gebaut hat oder gar: der Chef eben. Da hält man sich mit Kritik eher mal zurück. Wer weiß, wie der andere reagiert und wie einem die Kritik schaden könnte.
Für den Paulus damals aber war klar: Wenn ich zu einer Sache wirklich stehe, vor allem aber: wenn ich zu den Menschen, zu meiner Gemeinde stehe: Dann muss ich auch mal den Mut haben, dem anderen öffentlich meine Meinung zu sagen.
Übrigens: Die Reaktion des Petrus auf die Strafpredigt des Paulus ist nicht überliefert. Nur eins ist sicher: Paulus hat Recht behalten. Und ohne seinen Widerstand wäre das Christentum nicht zu dem geworden, was es heute ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5409
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