Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Jesus übrigens war Jude. Das vergessen viele viel zu schnell. Ich kann als Christin mei-nen Glauben gar nicht denken, ohne an diese jüdischen Wurzeln zu denken. Das heißt: Ein Christ, der Antisemit ist, der judenfeindlich ist, der kann überhaupt kein Christ sein.
Es sind vor allem Fest- und Feiertage, an denen ich diese jüdischen Wurzeln entdecke. Ich lasse mich von ihnen inspirieren für mein Leben. Heute zum Beispiel. Da hab ich zwar keinen christlichen Festtag im Kalender stehen. Aber einen jüdischen: Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume. Was für eine gute Idee, eine Art Frühlingsfest schon Mitte Feb-ruar! Im Februar krieg ich richtig Sehnsucht nach wärmerer Luft und nach ersten, zarten Knospen an den Bäumen. An Tu Bischwat, dem Neujahrsfest der Bäume, wird genau das gefeiert: Dass die Bäume wieder ausschlagen – vor allem in wärmeren Gegenden, in Is-rael etwa. Viele Jüdinnen und Juden pflanzen heute auch einen Baum ein. Ein anderer Brauch sagt, man solle eine Frucht verspeisen, die man im laufenden Jahr noch nicht gegessen hat. Vielleicht werde ich das tatsächlich machen: In eine Frucht beißen, die ich in diesem Jahr noch nicht gegessen hab, vielleicht in eine Ananas oder Kiwi. Und dabei an Frühling, Sommer, Sonne denken.
Jüdische Feste sind oft auch mit den christlichen eng verbunden. Das Paschafest feierte Jesus damals mit seinen Jüngern am ersten Frühjahrsvollmond, kurz danach starb er am Kreuz und wurde zu neuem Leben erweckt. Zeitlich ganz nah am Paschafest wird bis heute das christliche Ostern gefeiert. Die Juden sind unsere älteren Brüder und Schwes-tern im Glauben. Es hat lange gedauert, bis die Christen das im Laufe ihrer Geschichte wieder entdeckten. Der Frühling zwischen Katholiken und Juden begann so richtig erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor knapp fünfzig Jahren. Davor aber hatte es schreckliche Winter gegeben: Christen haben Juden diskriminiert, verfolgt und ermordet.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erkannte die katholische Kirche: Die Juden sind ja unsere älteren Brüder, wir stehen auf ihren Schultern, wir haben ein großes gemeinsa-mes Erbe. Auch an diesen Frühling denke ich heute, an Tu Bischwat. Und bin dankbar für meine jüdischen Wurzeln und jüdischen Geschwister.
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