SWR2 Wort zum Tag

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Im „Brief an D“ erzählt der Philosoph André Gorz von der Liebe zu seiner Frau, vom gemeinsamen Leben und von Gedanken an den Tod.
Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein, Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist Du schön, graziös und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe dich mehr denn je… Mit Dir war ich anderswo, an einem fremden Ort, Du botest mir den Zugang zu einer Dimension von zusätzlicher Andersheit… Ich kann mir nicht vorstellen weiter zu schreiben, wenn Du nicht mehr bist. Du bist das Wesentliche…
Und am Ende des Briefes schreibt André Gorz: Oft haben wir uns gesagt, dass wir, sollten wir wundersamerweise ein zweites Leben haben, es zusammen verbringen möchten.
Der Brief erzählt von der Liebe zu seiner jetzt kranken Frau. Schon die ersten Sätze dieses Briefes sprechen den Wunsch aus, dass keiner vor dem anderen sterben müsse. Es ist der Schmerz, vor dem jeder Angst hat, die Angst vor dem Tod des Anderen, dem Verlust des Du. Schmerz und Verlust sind herzzerreißend. Trauer und Schmerz drohen uns zu überwältigen. Alles Gemeinsame hört auf. Dieses Nie-mehr lässt Leben erstarren.
Ich weiß aus Erfahrung, dass der Tod des geliebten Menschen verstummen lässt, dass der Tod sprachlos macht. Deshalb tut es gut und kann zum Leben helfen, wenn ich Worte kenne, sie mir leihen kann, die die Trauer ausdrücken und die helfen, mit der Trauer weiterzuleben. In den Psalmen oder im Prediger Salomo sind solche Erfahrungen ausgesprochen. Menschen haben darin ihre Last und ihre Freuden, ihre Tränen und ihre Träume, ihre Sehnsucht und ihren Schmerz ausgedrückt:
Alles hat seine Zeit. Ein Jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter der Sonne hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit… weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit, klagen hat seine Zeit …
Leben und Tod, Helles und Dunkles, Verlassen sein und Getröstet werden – alles hat seine Zeit.
Weil das so ist, gibt es Glück und Schmerz des Erinnerns.
Weil das so ist, endet das Gespräch nicht mit dem Tod des Anderen.
Weil das so ist, nimmt mir der Tod viel, aber er kann mir nicht die Verbundenheit mit dem geliebten Menschen nehmen, nicht die Erinnerung an das Glück.
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