SWR3 Gedanken

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Peinlich, peinlich: Die US-Politikerin Ileana Ros-Lehtinen ist gerade als Abgeordnete wiedergewählt worden, da klingelt das Telefon. Ein Mann will ihr gratulieren und stellt sich als Barack Obama vor. Der Präsident ruft einfach so an? Muss ein Scherz sein, denkt sich Frau Ros-Lehtinen und legt auf. Kurz darauf noch ein Anruf. Wieder aufgelegt.

Sie ahnen es schon, oder? Der Anrufer war wirklich Barack Obama. Am Abend hat er es dann mit Hilfe eines Freundes geschafft. Der musste bei Frau Ros-Lethinen anrufen und ihr den Präsidenten ankündigen. Später in einem TV-Interview sagt sie: „Peinlich, ich habe dem mächtigsten Mann der Welt den Hörer aufgelegt, und das gleich zwei Mal!“

Das Alte Testament steckt voll solcher Geschichten von „aufgelegten Hörern“: Der Prophet Samuel zum Beispiel: Gott muss ihn drei Mal aus dem Schlaf reißen. Und jedes Mal denkt der junge Samuel, es sei der Priester Eli, der ihn ruft. Schließlich weist Eli Samuel darauf hin, dass es vielleicht Gott ist, der ihn sprechen will.

Das Problem mit Gottes Stimme ist wahrscheinlich, dass sie selten so richtig eindeutig wahrnehmbar ist. Oft rechnen wir gar nicht damit. Vielleicht steckt Gottes Stimme in einem Tipp eines Freundes, oder in einer Situation, die mich anrührt und aufwühlt. Vielleicht sogar mal in einem guten Buch oder einem Zeitungsartikel, der mich aufhorchen lässt.

Und dann ist da noch der Samuel-Effekt, oder auch der Ros-Lethinen-Effekt: der kleine Zweifler in mir, der nicht daran glaubt, dass Gott gerade bei mir anruft.

Der Dominikanermönch Yves Congar hat dieses Problem wohl auch gekannt. Er hat nämlich einmal gesagt: „Gott ruft jeden, aber mit anderer Stimme.“ Ich glaube, die große Kunst besteht darin, Gottes Stimme unter den vielen anderen herauszufiltern. Und dann natürlich: ihr zu trauen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5359
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