SWR3 Gedanken

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Jesus schleppt sich den Weg zur Schädelhöhe hinauf. Die Folter steckt ihm noch in den Knochen, und das Gewicht des Kreuzbalkens drückt ihm auf die Schultern. Er ist am Limit.

Der Legende nach springt eine junge Frau aus der Zuschauermenge. Ein gewagtes Unternehmen, denn die römischen Soldaten sind nicht zimperlich. Die Frau heißt Veronika, eine Anhängerin Jesu. Sie hat Mitleid, will ihm etwas Gutes tun. Liebevoll wischt sie ihm mit einem Tuch Blut, Schweiß und Staub vom Gesicht. Dann ein Wunder: Das Gesicht Jesu bleibt als Abdruck auf dem Schweißtuch sichtbar.

Es wurde viel um diese Legende gestritten: ob sie stimmt oder nicht. Und wenn ja, ob es das Schweißtuch bis heute noch gibt. Ob es in Rom oder in Manopello liegt. Zweitrangig, finde ich. Aber fast jede Legende hat einen wahren Kern.

Der Kern der Veronikageschichte könnte sein: Gott hat ein Gesicht. Er ist nicht nur ein philosophisches Prinzip, sondern hat sich den Menschen in Jesus gezeigt. Gott hat ein Gesicht, und zwar aus Blut und Schweiß, aus Staub und Tränen. Also ein Gesicht, dem das Leid der Menschen nicht fremd ist.

Interessant finde ich auch, dass sich das Gesicht gerade der Veronika zeigt. Eine Frau, die im Kreuzigungsspektakel nicht nur Zuschauerin bleibt. Sie tritt heraus aus dem Mob, wagt etwas, riskiert den Zorn der Soldaten. Und sie handelt aus Liebe.

Heute feiert die Kirche den Gedenktag der Heiligen Veronika. Ihr Name setzt sich aus den lateinischen Worten „vera“ und „icon“ zusammen. Das heißt übersetzt „wahres Bild“. Die Legende könnte uns also auch noch sagen: Wer so mutig und hilfreich handelt wie Veronika, dem zeigt Gott sein wahres Gesicht. Und zwar nicht nur flüchtig, sondern dauerhaft. Wie ein Abdruck eben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5358
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