SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es wird viel gedacht in diesem Jahr. Vor allem an die Vergangenheit. 2009 ist ein Jahr voller Gedenktage: Calvin, Händel, Haydn, Mendelssohn, Darwin, 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall.
Wenn Sie und ich all dieses Gedenken aktiv mitmachen, wird unser „kollektives Gedächtnis“ am Ende des Jahres kräftig angereichert sein.
Warum dieser ironische Unterton, fragen Sie sich vielleicht. Gedenken und ein reiches kollektives Gedächtnis sind doch wichtig für eine Kulturnation. Als Quelle, aus der wir gemeinsame Werte schöpfen können. Um Identität zu stiften. Ich finde das auch wichtig, dass wir uns unserer Wurzeln besinnen. Und beklage manchmal den Gedächtnisverlust der jungen Generation. Dass mein Interesse an der Geschichte bei vielen Jungen so wenig Widerhall findet. Manchmal beklage ich den Traditionsabbruch und es überfällt mich eine gewisse kulturkritische Depression. Zu Recht?
Oder muss es vielleicht sein, dass die Jungen unser Gedenken der Vergangenheit nicht selbstverständlich mitmachen? Ist ihre Haltung vielleicht sogar wichtig auch für uns Ältere? Und eine segensreiche Herausforderung?
„Lass die Toten ihre Toten begraben.“ Und: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ So vergangenheitsvergessen hat Jesus seine Zeitgenossen provoziert. Was heißt vergangenheitsvergessen? Beinahe verächtlich klingt er. „Lasst die Toten ihre Toten begraben.“ Einem Verstorbenen das Gedenken zu verweigern, das ist doch zutiefst unmenschlich, will ich ihm widersprechen. Was soll diese rebellische Provokation?
Eines scheint mir klar. Jesus weist sehr radikal darauf hin, wirklich leben kann man nur in die Zukunft. Die Zukunft ist die wahre Herausforderung. Wie wir mit dem Klimawandel klar kommen. Und mit der Globalisierung. Ob uns Händel und Darwin dabei helfen können, die Frage ist offen.
Man kann sich in der Vergangenheit auch verlieren. Erinnerung bereichert nicht nur, sie bindet einen auch. Noch dazu wenn man in der Vergangenheit Heimat sucht. Nur die Zukunft kann man gestalten. Junge Menschen haben das Glück, dass sie nicht so viel Vergangenheit mit sich tragen. Darin liegt vielleicht ihre Kraft, die wir Älteren brauchen. Vielleicht tut es uns ja gut, wenn sie das Gedenken der Vergangenheit nicht einfach mitmachen oder anders betreiben. Uns Ältere erinnern sie daran, alles Gedenken wird selbstgefällig, wenn es nicht auch um der Zukunft willen geschieht. Wenn es nicht auch nach vorne denkt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5347
weiterlesen...