SWR2 Wort zum Tag

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„Sie war ungenießbar“, so wird Simone Weil von ihren Mitschülern beschrieben. Heute wäre die französische Philosophin und Mystikerin 100 Jahre alt. Sie wurde allerdings nur 34, stets unterernährt starb sie 1943 in England. Ihr kurzes Leben ist geprägt von Gegensätzen. Einerseits denkt und lebt sie radikal und kompromisslos und andererseits hat sie unendlich zarte Töne und ist spirituell außergewöhnlich empfindsam.
1909 in einer jüdischen Familie in Paris geboren wurde Simone Weil in humanistischem Geist erzogen, aber ohne jeden religiösen Hintergrund. Sie wird Lehrerin, engagiert sich politisch, und da sie bei Demonstrationen die rote Fahne trägt und die Internationale mitsingt, wird sie strafversetzt. Sie nimmt unbezahlten Urlaub und verdient ihr Geld als Fabrikarbeiterin, „um das Unglück der andern in Fleisch und Blut eindringen zu lassen“. Im Zuge der deutschen Besatzung wird sie gänzlich aus dem Dienst als Lehrerin entlassen. Sie geht nach Spanien, um im Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner zu kämpfen. Nach einem Unfall muß sie nach Hause zurück, schließt sich dem französischen Widerstand gegen Nazideutschland an, und arbeitet in England in einem Büro der französischen Exilregierung, bis ihre Kräfte restlos erschöpft sind.
Ihr äußerer Lebensweg steht in einer erstaunlichen Wechselwirkung mit ihrem inneren Weg. So gibt sie ihrem politischen Engagement immer mehr eine ganz eigene Farbe. Daß nämlich die Arbeiter und die Armen nicht nur Brot und Wohnraum brauchen, sondern auch Schönheit und Poesie. Und sie selber erschließt sich immer mehr der Möglichkeit Gottes. Früher hatte sie in bezug auf Glauben immer gesagt: „Vielleicht ist das alles nicht wahr“, jetzt beschäftigt sie sich mit der entgegengesetzten Möglichkeit: „Vielleicht ist das alles wahr“. 1941 verbindet sie in dem Buch „Schwerkraft und Gnade“ beides miteinander: den Gedanken der Schönheit und den Glauben an Gott, der Mensch wird in seiner Schöpfung. Sie schreibt:

„In allem, was das reine und echte Gefühl des Schönen in uns weckt, ist Gott wirklich gegenwärtig. Es gibt gleichsam eine Inkarnation (eine Fleischwerdung) Gottes in der Welt, deren Merkmal die Schönheit ist. Das Schöne ist der Experimentalbeweis, dass die Inkarnation möglich ist (dass Gott eingehen kann in diese Welt). Deshalb ist jede Kunst höchsten Ranges ihrem Wesen nach religiöse Kunst Eine gregorianische Melodie ist ebenso sehr ein Zeugnis als der Tod eines Märtyrers.“

Gedanken von Simone Weil zu ihrem 100.Geburtstag

vgl. Christian Feldmann: Kämpfer, Träumer Lebenskünstler. Freiburg 2005, 400ffhttps://www.kirche-im-swr.de/?m=5341
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