Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Die Nachkommen der Holocaust – Überlebenden haben die Schrecken der Nazi - Zeit nicht selbst erlebt. Aber auch sie leiden unter den Traumatisierungen, die ihre Eltern erlebt haben.
Ganz plötzlich ist sie da, die Angst. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Eine Panikattacke. Dabei wollte er doch nur etwas in den Akten suchen und fand es nicht auf Anhieb. Seine Frau hilft ihm. Ich suche es für dich, sagt sie. Das beruhigt ihn. Für Gert Levy ist es nicht die erste Situation dieser Art. Der 55 – jährige weiß genau, woher diese plötzlichen Angstgefühle kommen. Es hat mit seiner Familiengeschichte zu tun. Seine Eltern sind Überlebende des Holocaust. Der Überlebenskampf hat nicht nur das Leben der Eltern traumatisiert. Auch sein Leben. Da nützt es Gert Levy wenig, dass er die Nazizeit selbst gar nicht erlebt hat. Aber als Kind spürte er die großen Erwartungen und Wünsche seiner Eltern – es waren die Wünsche, die sie sich nicht hatten erfüllen können. Beklemmend war es für ihn auch, dass seine Eltern immer so ängstlich und überfürsorglich zu ihm waren. Sie konnten nicht anders. Manchmal musste er sogar als Kind der Beschützer seiner Eltern sein. Damals zum Beispiel, als seine Mutter nur deshalb nicht an einer Angina starb, weil er als Achtjähriger mitten in der Nacht einen Arzt anrief. Trotz dieser Kindheit und Jugendzeit hat Gert Levy heute seinen Alltag insgesamt ganz gut ihm Griff. Er hat eine Therapie gemacht. Und er ist Therapeut geworden. So kann er heute denen helfen, die ebenfalls darunter leiden, dass ihre Eltern durch den Holocaust traumatisiert wurden. Gert Levy weiß dann aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, Angstträume zu haben oder immer wieder Konflikten auszuweichen. Die Kinder von Holocaust – Überlebenden sind heute erwachsen und mitten im Leben. Unter der Nazizeit leiden sie noch immer, auch wenn sie diese nicht selbst erlebt haben. Gewalt und Demütigung macht Menschen über mehrere Generationen krank. Es sollte ein Grund sein, sich immer wieder für die Würde von Menschen einzusetzen – nicht nur heute, am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

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