SWR3 Gedanken

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Vor der Bank spricht mich ein älterer Herr an „Wissen Sie, was mich ärgert?“, fragt er. Ich weiß es nicht und bin gespannt. „Wenn die Kirche um Spenden bittet, dann redet sie oft von sozial schwachen Familien.“ Ja und, denke ich? Aber schon folgt die Erklärung:

„Nach gängiger Meinung waren meine Eltern sozial schwach“, sagt der ältere Herr. „Wissen Sie, nach dem Krieg, die hatten nichts, keine müde Mark. Und trotzdem hat es mir und meinem Bruder an nichts gefehlt. Wir hätten keine liebevolleren Eltern haben können. Was sagen Sie nun?“

Erst einmal sage ich nichts. Weil noch immer nicht der Groschen fällt. Aber dann begreife ich: Er hat recht. Wenn wir von „sozial schwach“ reden, meinen wir „finanziell schwach“. Aber wenn ein Mensch nicht viel Geld hat, heißt das noch lange nicht, dass sein Sozialverhalten schwach ist.

„Sie haben recht“, sage ich und denke an die alleinerziehende Mutter von vier Kindern, die in meiner Straße wohnt. Die hat echt keinen Cent zuviel, hat aber noch keinen Elternabend ihrer Kinder versäumt. Und wenn im Kindergarten eine helfende Hand gebraucht wird, ist sie da. Weil ihr die Gemeinschaft etwas bedeutet. Die soll „sozial schwach“ sein, weil sie von Hartz IV lebt?

„Sie haben recht“, sage ich noch einmal zu dem älteren Herrn und ziehe meines Wegs. Und denke wieder einmal, wie schnell man doch in die Falle tappt. In die Falle des Nachplapperns. Von Wörtern, von Formulierungen, die so richtig erscheinen und so falsch sind. Wenn man darüber nachdenkt.

Über diese Formulierung habe ich nachgedacht. Und werde sie nie wieder verwenden. Weil Finanzkraft und Sozialverhalten in der Tat zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Und soziale Stärke beileibe nicht abhängig ist vom Geldbeutel.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5239
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