SWR2 Wort zum Tag

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„Ich glaube an Gott, den Vater“ – so beginnt eines der ältesten christlichen Glaubensbekenntnisse. Gott – ein Vater? So hat es auch Jesus verstanden. Immer wieder gebraucht er Bilder aus dem Familienverbund, um seinen Zeitgenossen zu verdeutlichen, wie Gott ist. Dann dient meist die Vaterrolle als Gleichnis für Gott. Das Johannesevangelium überliefert uns die besondere Verbundenheit zwischen Gott, dem Vater, und Jesus, dem
Sohn, die alle, die an ihn als den Weg zum Vater glauben, zu „Kindern Gottes“ macht. Und nicht zuletzt ist jenes Gebet zu nennen, das auf Jesus selbst zurückgeführt wird: das „Vater unser ...“
Das in Bibel, Gebet und Bekenntnis so gerne für Gott gebrauchte Bild vom Vater birgt aber auch Probleme in sich. Welchen Beiklang bekommt die Rede vom Vatergott nahezu zwangsläufig für diejenigen, die mit ihren leiblichen Vätern keine guten Erfahrungen machen konnten? Väter, die zum Beispiel zu streng und zu hart waren und mit ihrer kantigen, unbarmherzigen oder groben Art das Bild der Liebe und Zuwendung verstellen, von dem der christliche Glaube sprechen will. Oder wie hört sich die Rede vom Vatergott an, wenn ich meinen eigenen Vater gar nicht kenne, wenn es ihn für mich nie gegeben hat?
Die schlechten Erfahrungen mit den irdischen Vätern können leicht auf den himmlischen Vater abfärben. Bilder sind immer doppeldeutig, weil die Welt, in der wir leben, und die Erfahrungen, die wir in ihr machen, doppeldeutig sind.
Dennoch sind die Bilder vom liebenden und fürsorgenden Vater, die Jesus für Gott gebraucht, auch in solchen
Fällen nicht sinnlos oder leer. Gerade dort, wo irdische Väter als unzureichend erlebt werden, wächst die Sehnsucht nach einem „echten Vater“. Nach einem, der es verdient, „Vater“ genannt zu werden. Diese Sehnsucht greift Jesus auf.
Offenbar bleibt also auch dort, wo die leiblichen Väter enttäuschen, das Idealbild, das Wunschbild eines „echten Vaters“ lebendig. Sigmund Freud hat diese Tatsache dazu genutzt, die Vorstellung vom Vatergott als infantile Wunschprojektion zu entwerten. Seine Kritik kann befreiend sein, doch wird etwas nicht dadurch unwahr, dass
man es sich wünscht. Umgekehrt möchte ich formulieren: Jesus stellt uns Gott als Projektionsfläche für den Wunsch nach einer Vaterfigur vor Augen. Er kann dies tun, weil Gott der Urquell unseres Vertrauens, unseres Bedürfnisses nach Zuwendung, unserer Menschlichkeit ist. Und er tut es, weil er zu einer Vertrauensbeziehung zu Gott einladen will. Da ist Gott nicht wie ein Vater – weder wie ein schlechter noch wie ein guter. Sondern er wird
uns zum Vater, indem er sich unserem Vertrauen als Gegenüber anbietet. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5235
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