SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

31DEZ2008
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Ägypten liegt hinter ihnen, das rote Meer ist noch nicht durchschritten. Jetzt sind sie am Rande der Wüste, hinter ihnen die Sklaverei mit ihren Fleischtöpfen, vor ihnen die Freiheit einer gefährlichen Wüstenwanderung mit Manna und Wachteln. Manche werden sich an diesem Punkt schon zurückgesehnt haben. Überstandene Schrecken haben manchmal die merkwürdige Eigenschaft, im Rückblick ganz erträglich zu erscheinen: Besser satt und gefangen als frei und hungrig. Andere sind gespannt auf das, was kommen wird. In der Bibel wird erzählt, dass das Volk Israel in diesem Moment anhält, sich einen Moment der Ruhe gönnt, eine Auszeit. Für mich ist der Silvestertag wie dieser Augenblick. Eine Pause. Ich möchte zurückblicken, Zeit haben, mich über das zu freuen, was schön war, zauberhaft und zärtlich. Aber auch Zeit, die Wunden zu lecken, die mir in diesem Jahr 2008 geschlagen wurden. Es ist gut, beides wahrzunehmen: das Glück und das Schwere, beides zu würdigen, damit das vergangene Jahr mich nicht in Fesseln legen kann, die ich eigentlich längst abgestreift habe. Um nach vorne schaun zu können, Mut und Kraft zu gewinnen für den Weg ins neue Jahr 2009.
Etwas neidisch lese ich in der Bibel, dass den Israeliten eine Feuer- und Wolkensäule den Weg weist. Wie schön wäre es, wenn auch für mich immer alles so klar wäre. Doch offensichtlich waren auch die Israeliten gezwungen, trotz dieser göttlichen Fingerzeige immer wieder neu nach dem rechten Weg zu fragen. Und oft genug haben sie sich bei der Richtung ganz schön geirrt. Außerdem: Im Rückblick auf das Jahr 2008 stelle ich fest: Da gab es auch für mich Hinweise, wie Fingerzeige Gottes, die mich in meinem Leben weitergebracht, manchmal sogar vor Schaden bewahrt haben. Gespräche mit nahen Menschen, ein Gedankenblitz, eine überraschende Begegnung.
Jedoch selbst in diesen göttlichen Momenten blieb es mir nicht erspart, genau hinzusehen. Sich Gott anzuvertrauen entbindet nicht von der Mühe, nach dem Weg zu fragen, den er mit mir gehen möchte.
2008 war er mit uns, und er wird auch 2009 mit uns sein. Bei unseren Wegen durch Meer und Wüste, bei einem Festschmaus mit Wachteln und Manna und auch dann, wenn uns die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen des vergangenen Jahres überfallen sollte. Und mit ihm ist jeder Weg ein Weg ins gelobte Land.

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