SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

30DEZ2008
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Heinrich von Kleist hat eine Novelle über die Gewalt der Musik geschrieben. Sie ist kein Beispiel für friedliches ökumenisches Miteinander, schließlich geht es um vier evangelische Rabauken, die ein Kloster überfallen wollen. Allerdings werden sie dank des persönlichen Eingreifens der Heiligen Cäcilie in den heiligen Wahnsinn getrieben. Die Heilige selbst dirigiert die musizierenden Nonnen, die Musik verwirrt die Angreifer und bekehrt sie zum wahren Glauben, den sie dann bis zum Ende ihrer Tage in einer Irrenanstalt ausleben.
In der Tat besitzt Musik eine einzigartige, ihr innewohnende Macht. Martin Luther wusste das, ihm war es ein besonderes Anliegen, seine Botschaft auch musikalisch unter die Leute zu bringen. Er nutzte dabei die Schlager seiner Zeit, heute klingen sie für Konfirmandinnen und Konfirmanden altertümlich, zu seiner Zeit waren es Melodien, die jeder auf der Straße nach pfiff - und den passenden evangelischen Text gleich mit in Kopf und Herz hatte. Diese Textverständlichkeit, die bei der Bevölkerung schnell großen Anklang fand, wurde von der katholischen Kirche mit wachsendem Misstrauen beäugt. Auf dem Konzil von Trient 1545-1563 wurde daher schon ein Verbot der polyphonen Musik diskutiert, damit katholische Christen besser verstehen sollten, was gesungen wurde. Papst Pius IV war kurz davor, jede Vielstimmigkeit zu verbieten. Das konnte nur Palestrina verhindern, der mit einer 1562 komponierten Missa das Konzil davon überzeugte, dass Vielstimmigkeit und Textverständlichkeit sich nicht ausschließen müssen.
Heute finde ich im Gotteslob, dem Gesangbuch der katholischen Kirche, viele evangelische Lieder, zum Teil sind ihre Texte überarbeitet worden, doch diese Präsenz evangelischen Liedgutes in einem katholischen Gesangbuch ist für mich ein Zeichen ökumenischer Versöhnung. Es ist doch auch ein Fortschritt, dass inzwischen keine protestantischen Kampflieder mehr zum Bildersturm in katholischen Kirchen aufrufen und umgekehrt keine Heiligen die Evangelischen musikalisch in den religiösen Wahn treiben müssen. Ich habe schon im Mainzer Dom und in römischen Kirchen manche Bachsche Fuge gehört, es muss nicht immer Palestrina sein. Auf der anderen Seite kann ich die Musik des katholischen Komponisten Bruckner genießen, ohne vom evangelischen Glauben abzufallen.
Die Gewalt der Musik, sie kann jetzt ihre schöpferische, heilvolle Kraft entwickeln: Für evangelische und für katholische Christen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5105
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