SWR2 Wort zum Tag

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„Papa, was wünschst du dir zu Weihnachten?“ Die Frage eines unserer Kinder hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Wünsche? Eigentlich weiß ich das nicht so richtig. Ganz im Gegensatz zu unseren Kindern. Die haben alle schon einen Wunschzettel geschrieben, gemalt, geklebt und gut sichtbar auf dem Tisch liegen gelassen. Ihre Wünsche: Spielzeug, Bücher, eine Flöte, einen Sessel fürs eigene Zimmer.
Manche Kinder schicken die Wünsche sogar ab. Zum Beispiel an die sieben deutschen Weihnachtspostämter. Die sitzen in Orten mit so weihnachtlichen Namen wie Himmelsthür oder Engelskirchen. Letztes Jahr haben sie zusammen fast 600.000 Briefe erhalten und beantwortet. Doch hier trudelt nicht nur Post mit Weihnachtswünschen ein. Auch Sorgen stehen in den Briefen der Kinder: Dass der Vater keine Arbeit hat, dass die Mutter krank ist, dass es in der Schule nicht läuft. All das packen Kinder in ihre Wunschzettel und schicken sie an Nikolaus, Christkind und Weihnachtsmann.
Das sieht nach simplem Kinderglauben aus. Deshalb tue ich mich mit Wunschzetteln schwer – und bin dabei nicht ganz allein. Wunschzettel, das ist doch was für Kinder. Aber Wunschzettel fassen auch Hoffnung und Kummer in Worte, geben ihnen eine Sprache. Heißt das nicht, dass Wunschzettel für jeden Menschen da sind?
Wenn ich ehrlich bin: Wünsche habe ich doch auch. Einen Wunschzettel krieg ich ruckzuck voll geschrieben. Sicher: Bei mir ist es nicht dieses Buch oder jene CD. Eher Wünsche für die Partnerschaft, für die Familie, Wünsche, die die Gesundheit betreffen – aber auch Wünsche, die weit darüber hinaus gehen. Gerade in der Vorweihnachtszeit: Ich denke an die Menschen, die ums Überleben kämpfen müssen, an Menschen, die in der Krise stecken, an Menschen, die zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben haben. Und wenn ich das so überlege, dann glaube ich: Wünsche gehören zum Leben, zum Alltag, auch zum Glauben dazu. Wer sich etwas wünscht, der macht deutlich, dass noch etwas aussteht, noch etwas offen ist, dass nicht alles schon fertig und beschlossen ist. Dass es noch Hoffnung gibt: Auf Veränderung und Entwicklung, auf anderes. Klar, ich weiß, dass das Wünschen nicht ausreicht. Vom Wunsch allein verändert sich nichts, Wünsche sorgen nicht für Entwicklung. Wünsche haben wenig mit Wollen oder Können zu tun. Aber ohne Wünsche geht’s eben auch nicht, weil ich ohne Wünsche gar nichts wollen kann, nicht weiß, wofür ich lebe und wozu ich da bin.
Also: Heute werde ich meinen Wunschzettel schreiben. Vielleicht geht einer der Wünsche in Erfüllung. Es muss ja nicht unbedingt schon am Heiligen Abend sein. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5041
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