Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Meinst du, es ist wirklich richtig, dass du auch noch deinen Bruder unterstützen willst? Du brauchst das Geld doch dringend selbst für dein Studium!“ Mir gegenüber sitzt Aziz, ein junger afrikanischer Student. Er hat mir gerade erzählt, dass sein Bruder in Afrika schwer erkrankt ist. Der Bruder muss operiert werden. Aber er hat nicht genügend Geld, um die Operation zu finanzieren. Also hat sich Aziz entschieden, seinen Bruder zu unterstützen. Ich finde das ganz toll. Einerseits. Aber gleichzeitig weiß ich, dass er selbst nur mit Mühe und Not finanziell über die Runden kommt. Aziz muss sich - wie so viele ausländische Studierende - sein Studium zum größten Teil selbst finanzieren. Sein Studentenalltag ist daher eine permanente Gradwanderung. Zu den Anforderungen des Studiums, zu den Problemen mit der fremden Sprache kommt die ständige Sorge um das Geld. Immer wieder muss Aziz neben dem Studium arbeiten, um seine Miete und seinen Lebensunterhalt bezahlen zu können. Also versuche ich ihm klar zu machen, dass ich es ja gut finde, wenn er seinem Bruder finanziell helfen will. Aber ich rate ihm auch, es sich gut zu überlegen, damit er sein Studium nicht gefährdet. Aziz hört sich das geduldig an. Dann antwortet er mir: „Wenn es meinem Bruder schlecht geht, dann kann es mir nicht gut gehen. Ich kann nicht alleine glücklich sein!“ Ich habe den Eindruck, dass alle meine Einwände auf einmal in sich zusammen fallen. Auf jeden Fall kommen mir meine Bedenken auf einmal sehr kleinkariert vor. Sie sind sicher rational gut begründet, aber eigentlich kann ich Aziz nur zustimmen. Ein Leben, das nur auf das eigene Glück und den eigenen Erfolg ausgerichtet ist, ist doch sehr armselig. Glück ist nicht nur mein eigenes, sondern immer auch das des anderen. Ich kann nicht alleine glücklich sein! Aziz hat das ganz einfach auf den Punkt gebracht.


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