SWR2 Wort zum Tag

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Das Fest, das die Kirche heute feiert, hieß einmal „Mariä Unbefleckte Empfängnis“. Gemeint war damit, dass Maria, die Mutter Jesu, selber ohne die so genannte Erbsünde von ihren Eltern gezeugt wurde. Maria war von Anfang frei von der Erbsünde, die die Menschheit seit jeher in ihrem Bann gefangen hält.
Das ist heute schwer verständlich. Eine Schuld, die sich gleichsam wie ein genetischer Makel von Mensch zu Mensch fortpflanzt, hat in unserem Denken keinen Platz mehr. Zu Recht. Aber die menschliche Erfahrung, die hinter solchen Vorstellungen steht, ist so alt wie die Menschheitsgeschichte und auch heute aktuell. Sie besagt: Keiner von uns fängt mit seinem Leben an einem Nullpunkt an. Jeder von uns ist hineinverwoben in eine lange Geschichte, die weit ins Dunkel der Vergangenheit zurückreicht. Sie ist ebenso geprägt von Glück und Gelingen wie von Unglück, von Hass, von Schuld. Wir können nicht sagen, ob Fortschritt oder Rückschritt darin überwiegen. Vieles ist zwiespältig und verworren, das ist der beherrschende Eindruck. Für diese Herkunft kann ich nichts, aber sie gehört doch zu mir und prägt mich - ob ich will oder nicht. Und ich selbst knüpfe durch mein eigenes Tun und Lassen weitere Maschen in das Netz menschlichen Lebens. Manchmal hat etwas, was ich gut meine, schlimme Folgen; manchmal entsteht aus problematischem Verhalten auch unerwartet Gutes. Und dies alles ist nicht nur meine eigene Angelegenheit. Wir leben und handeln in einem Netzwerk, das weit über uns hinausreicht. Wenn wir heute von Globalisierung reden, dann ist uns bewusst, dass wir aktiv und ohnmächtig zugleich sind in diesem verworrenen Geflecht; und wir erschrecken über eine Dynamik, der wir schicksalhaft ausgeliefert sind.
Wir können vieles besser machen. Doch können wir diesem oft verhängnisvollen Zusammenhang nicht aus eigener Kraft entrinnen. Die große Sehnsucht besteht darin, dass Gott das Netz zerreißen will und kann. Dass er einmal alles von Grund auf neu machen wird. Dass Gott im Menschen und für die Menschen geboren wird und uns zu neuen Menschen erschaffen will. Das besagt das heutige Marienfest. Und es sagt auch: Gott hat bereits begonnen, uns aus dem Netz des Verhängnisses zu befreien. Gottes Geburt für uns Menschen hat einen Namen: Jesus von Nazareth. Gott hat Maria von Anfang an zu seiner Mutter erwählt, und sie war bereit, das unerhört Neue an sich geschehen zu lassen. „Mariä Erwählung“ heißt darum dieses Fest heute. Es ist ein wichtiges Fest.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5000
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