SWR2 Wort zum Tag

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Wie blicken lang verheiratete Menschen auf ihren gemeinsamen Lebensweg?
Welche Freuden, welche Wunden sehen sie? Vieles davon steht in ihren Gesichtern geschrieben – in der Mimik, in den Blicken. Der New Yorker Photograph Robert Fass hat vor zehn Jahren damit begonnen, Paare zu portraitieren, die schon lange verheiratet sind – 40 Jahre oder noch länger. ((Robert Fass fotografierte und interviewte die Paare - zu Hause, in der Werkstatt, im Garten, in allen möglichen Lebenssituationen.)) Dabei ist ein Buch entstanden - mit beeindruckenden schwarz-weiß Photos: „long-married-couple“ – „lang verheiratete Paare.“

Ganz besonders angezogen hat mich das Photo von Bernie und Honey aus der Bronx.
Es ist vermutlich bei einer Kunstausstellung oder in einem Atelier entstanden. Aber die Umgebung wird durch das Paar ganz nebensächlich. Die beiden sind so bei sich, als wäre der Raum – als wäre alles um sie herum - gar nicht existent. Bernie legt seinen linken Arm um seine Frau, seine Hand ruht auf ihrer linken Schulter. Sie kommt mir jünger und Outfit bewusster vor: mit markantem Lippenstift und Haarspange, mit üppigem, Haar und Ohrringen. Bernie dagegen ist freizeitmäßig gekleidet, Brillenträger, bärtig, mit Ansatz zur Glatze und großen Altersflecken auf der Kopfhaut.
Beide senken den Kopf, Stirn an Stirn, den Blick einander zugewandt. Als würden sie wortlos tuscheln. Liebkosungen? Oder Erinnerungen an Spannungen? An Trennungsgelüste? An Kinder und Kindeskinder? An schmerzhaft unerfüllte Wünsche?
Ihre Lippen umspielt ein unscheinbares Lächeln. Woher rührt das? Wie mag das gewesen sein, als sie 1946 geheiratet haben? Und was haben sie seitdem miteinander erlebt und aneinander erfahren? Wie können sie jetzt so in sich ruhen? Alt und grau und warm und froh.
Ich bin neugierig – und ein wenig neidisch: Partnerschaft ohne den anderen für sich gewinnen zu müssen. Unangestrengte Lebensfreude.
Schön, dass es solche Bilder von Mann und Frau gibt. Von irdischen, gebrechlichen, sehr vergänglichen Menschen, die sich als Paar versprochen haben, beieinander zu bleiben – und das erleben.
Ob ich das je so - oder sehr anders empfinden werde?
Keine Ahnung, wer weiß wie lange ich leben darf. Das liegt in Gottes Hand.
Aber vom möglichen Segen des beieinander Bleibens jetzt etwas entdecken können – in den Gesichtern alter Paare - das tut mir in der Seele gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4953
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