SWR3 Gedanken

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„Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch ein Jahr zu leben hätten?“ Diese Schockerfrage haben zwei Psychologinnen 350 Personen im Alter von 30 bis 80 gestellt. Die Antworten darauf waren ziemlich einheitlich: Zwei Drittel der Befragten sagten, sie wollten mehr Zeit mit Menschen verbringen, die ihnen lieb sind. Sie würden ihr Leben ordnen, Konflikte beilegen, den Liebsten zeigen, wie gern sie sie haben. Dreiviertel der Befragten wollten endlich Dinge tun, die sie lange hinausgeschoben: ein Konzertbesuch, eine Sportart beginnen oder die klassische große Reise machen. Ein kleiner Prozentsatz, vor allem Jüngere, würde es so richtig Krachen lassen, die Schule schmeißen, Party machen, Geld auf den Kopf hauen oder etwas tun, was man sich bisher verboten hatte. Diese Gedanken kommen einem vielleicht bekannt vor. Was aber tun die Menschen, die tatsächlich nur noch ein Jahr zu leben haben? Davon berichten Mitarbeiter in Sterbehospizen. Und das sieht ganz anders aus als die Vorstellungen von Menschen die nicht wirklich vom Tod bedroht sind. Menschen, die tatsächlich nicht mehr lange zu leben haben reagieren so unterschiedlich darauf wie unterschiedlich sie eben sind: Die einen wollen ganz alltägliche, scheinbar banale Dinge tun: Die Sonne auf der Haut spüren, über den Markt schlendern oder Blumen riechen. Andere wollen gar nichts mehr, nichts klären, nichts abschließen, nichts bekommen, nichts mehr erleben. Und manche können gar nichts mehr tun, wegen ihren Schmerzen.
Was aber allen Todkranken gemeinsam ist, sie werden authentischer, geradliniger, kümmern sich nicht mehr um Konventionen. Es geht ihnen weniger ums Machen und mehr ums Sein. Weniger ums wünschen und mehr ums Weglassen. Sie grübeln nicht mehr so viel, planen und sorgen sich weniger. Der Moment zählt. Alles wunderbare Verhaltensweisen. Aber was sind wir Menschen doch für eigenartige Wesen, dass wir es oft erst schaffen so zu leben, wenn wir sterben müssen.
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