Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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15 putzmuntere Jungen und Mädchen aus der fünften Klasse. Sie gucken mich gespannt an, sie warten, dass ich anfange. Ich erzähle eine Geschichte: Ein Mann hat zwei Söhne. Der Jüngere ist ein Tunichtgut. Er hat keine Lust auf dem väterlichen Hof zu schaffen, lässt sich sein Erbteil auszahlen und verprasst alles bis auf den letzten Cent. Als er abgebrannt ist, die Taschen leer sind, kriecht er reumütig zum Vater zurück. Und der freut sich, macht ein großes Fest, schlachtet ein Mastkalb, schenkt ihm neue Klamotten, alles für diesen Tunichtgut. Eine Geschichte aus der Bibel, ein Gleichnis von Jesus und der übersetzt es auch: So wie dieser Vater ist Gott, der himmlische Vater. Fairer weise verschweigt die Bibel nicht, dass der brave, ältere Sohn, über die ganze Geschichte nicht gerade begeistert ist.
Nach meiner Erzählung geht’s in der Klasse ans Spielen. Jedes Kind darf die Rolle übernehmen, zu der es Lust hat. Das Spiel kommt gut in Gang. Die letzte Szene, die Heimkehr des verlorenen Sohnes, das große Fest nähert sich. Im Spiel geht der Sohn auf den Vater zu. Dieser, getreu der biblischen Erzählung, nimmt ihn in die Arme, freut sich überschwänglich und gibt seinen Dienern die Order, ein großes Fest vorzubereiten. Dann aber meldet sich das Kind, das den älteren Bruder spielt und beklagt sich beim Vater: „Ich bin sauer, der kommt doch nur zu dir zurück, weil er kein Geld mehr hat, nicht weil er Dich gern hat. Und für den machst du ein Fest.“ Der gütige Vater ist verunsichert: „Stimmt das ?“ fragt er seinen heimkehrenden verlorenen Sohn. Kleinmütig, aber ehrlich bejaht dieser die Frage. Nun ist dem Vater die biblische Vorlage egal. Bibel hin, Bibel her, das geht nun wirklich zu weit. Und aus dem gütigen himmlischen Vater wird ein realistischer irdischer Vater: „Wenn das so ist, dann blasen wir das Fest wieder ab. Du kannst hier bleiben, du bist ja mein Sohn. Aber ein Fest gibt es nicht. Und kein Mastkalb und keine neuen Klamotten. Basta.“ Verständlich, denn mit fast schon ungerechter Großzügigkeit tun wir irdischen Väter uns schwer. Aber Gott sei dank, gibt es den himmlischen Vater.
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