SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Carpe Diem, pflücke den Tag.“ Ein schönes Motto: jeder Tag ein neuer Anfang. Jeder Tag eine reife Frucht, die es zu pflücken und zu genießen gilt. In Peter Weirs Film „Der Club der Toten Dichter“ lautet das Leitwort „Carpe Diem“, und auch ein Song von Nena hat diesen Titel.
Ich möchte heute aber gerne an eine Zeit erinnern, in der vor dem „Carpe Diem“ noch ein anderes Motto stand. Es war im 17. Jahrhundert, der Zeit des Barock. „Memento Mori – Carpe Diem“ hat man damals gesagt. Gedenke des Todes – pflücke den Tag. Sei Dir bewusst, dass du endlich bist, dann kannst du das jetzt und heute angehen. Dann kannst du es auch genießen und feiern. Den Menschen im 17. Jahrhundert stand der Tod in ihrem Alltag sehr viel deutlicher vor Augen als uns heute. Krankheiten wie die Pest haben dafür gesorgt, dass regelmäßig Nachbarn, Freunde, Verwandte zu betrauern waren. Der Umgang mit Toten gehörte fast zum täglichen Leben.
Denk an den Tod, pflücke den Tag – das finde ich auch für heute eine sehr wertvolle Anregung. Ich kenne Menschen, die mit 30, 40 Jahren noch kein Sterben, keinen Tod aus der Nähe miterlebt haben. Das ist einerseits erfreulich, andererseits entgeht uns damit, meine ich, eine wichtige Erfahrung, eine Erfahrung, die wir brauchen.
Denn der Tod wird uns ja allen früher oder später doch begegnen. Unser Leben ist eben endlich und läuft auf dieses Ende unaufhaltsam hin.
Mit dem Tod in Berührung zu kommen, ist schwer und ist schmerzlich, es kann Angst machen. Aber wir können dabei auch etwas sehr Wertvolles gewinnen. Wir bekommen nämlich die Chance, mit einer Dimension des Lebens in Berührung zu kommen, die in die Tiefe weist. Einer Dimension, die über das Sichtbare, Machbare, Greifbare hinaus deutet. Hier begegnet uns die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen. Die Frage: Wohin geht jetzt dieser Mensch, von dem ich Abschied nehme? Und damit natürlich die Frage: Wie ist das mit Gott und seinem Plan für uns? Ich habe diese Fragen als sehr bereichernd erlebt und dabei die Angst verloren, über den Tod zu sprechen und nachzudenken.
Ich bin so mit dem Ewigen in Berührung gekommen weil ich das Endliche betrachtet habe. Und dann ist es wirklich ein ganz anderer Zugang zum neuen Tag. Dann kann ich wirklich verstehen, was das heißt: pflücke den Tag!
Memento Mori – Carpe Diem.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4851
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