SWR2 Wort zum Tag

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Wer kennt ihn nicht, den heiligen Martin von Tours? Kaum ein Heiliger wird so häufig dargestellt wie er und keine Heiligengeschichte wird so gerne gespielt, wie das Teilen des Soldatenmantels mit dem frierenden Bettler am Wegesrand.
Diese Geschichte spricht eine Sehnsucht an: das Verlangen gut zu sein und Güte zu erfahren, zu geben und zu empfangen, die Sehnsucht nach einer Welt, in der es menschlich und gerecht zugeht, in der keiner am Rand bleibt und betteln muss.
Der heilige Martin ist in Ungarn geboren und in Italien aufgewachsen. Als Soldat der römischen Armee kam er in die damalige Provinz Gallien. Mit 18 Jahren wurde er getauft. Er gab den Militärdienst auf. Bei Poitiers gründete er ein Kloster. 371 wurde er Bischof von Tours.
Die Geschichte mit dem Mantel wird üblicherweise so erzählt: Unter den römischen Soldaten in Gallien befindet sich auch ein Christ: Martin. Als der den Bettler sieht, handelt er nach dem Gebot und Beispiel Jesu: Er teilt, was er hat, mit dem, der in Not ist. Ein Christ, der Nächstenliebe übt.
Beim Chronisten Sulpicius Severus, dem wir den ältesten Bericht über Martin verdanken, ist die Abfolge der Ereignisse jedoch eine andere. Martin hat mit ungefähr 18 Jahren seinen Mantel geteilt – soweit stimmen die Schilderungen überein, aber damals war er noch kein Christ! Sondern er ist vermutlich der spontanen Eingebung seines Herzens gefolgt. Im Traum in der Nacht darauf, erscheint ihm Jesus mit den Worten: Was du einem der Geringen tust, einem der Fremden, die am Rand leben und die man normalerweise übersieht, was du einem von diesen Menschen tust, das hast du Gott getan. Dein Menschendienst ist Gottesdienst. Martins Geschichte sagt also: es gibt zwei gleichrangige Wege zu Gott. Der eine beginnt damit, dass jemand die Botschaft Jesu hört und ihr glaubt. Dieser Glaube führt ihn zu den Mitmenschen. Es gibt aber auch den anderen Weg, der gleichsam auf der anderen Seite beginnt: Jemand lässt sich auf seinen Mitmenschen ein, teilt mit ihm Freuden und Schmerzen, Ängste und Zuversicht. Damit befindet er sich auf dem Weg zu Gott und kann in Jesus Christus seinen Bruder erkennen. Martin von Tours ist diesen Weg gegangen. Er teilte seinen Mantel und kam so zum Evangelium.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4842
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