Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Diese Begegnungen werde ich nicht vergessen: Einer alten Frau durfte ich Woche für Woche die Kommunion bringen, immer am Samstag. Wir sprachen über ‚Gott und die Welt’ und wir beteten gemeinsam. Ihr Gesicht bleibt mir in Erinnerung, obwohl seither bereits ein Vierteljahrhundert vergangen ist. Sie war hoch in den Achtzigern. Ein altes Gesicht hatte sie, durchzogen von unzähligen Falten. Das Leben hatte seine Spuren hinterlassen… - Spuren, die der Krieg geschrieben hatte; äußerste Armut hatte sie erlebt, Trauer über ihren im Krieg vermissten jungen Ehemann, Entbehrung und Not, die zum täglichen Leben damals gehörten, wie sie immer wieder erzählte. Ein altes Gesicht mit vielen Runzeln schaute mich da an, eine Frau mit ihrer ganzen Geschichte saß mir gegenüber. Trotz der Not, die sie hatte erleben müssen, war sie nicht verhärtet, im Gegenteil: Sie strahlte eine Heiterkeit aus, sie freute sich über jedes kleine Zeichen der Begegnung, über ein Wort, einen Händedruck, über die Zeit, die ein junger Diakon für etwa 20 Minuten einmal in der Woche mit ihr teilte.
Ich fragte mich damals: Wie kann ein Mensch so werden? Worin liegt das Geheimnis solch einer heiteren Gelassenheit?
„Das Schlimmste ist“, so ähnlich sagte sie es, „wenn man immer nur um sich selbst kreist, wenn man mit sich und seinem Herrgott jedes Wehwehchen und jede Enttäuschung aufrechnen will. Das geht nicht gut. Ich glaube fest daran, dass Gott da ist – und das reicht mir. Ich bete jeden Tag, manchmal singe ich auch ein Lied. Das hilft mir – glauben Sie mir’ s. So war es bisher und so will ich’s auch weiterhin halten – so gut ich kann“. Dann begann sie immer wieder eines ihrer Lieblingsgebete, ein Gebet aus früher Tradition, es hatte sie zeit ihres Lebens begleitet. Es beginnt mit den Worten: „Seele Christi, heilige mich. Leib Christi, rette mich…“
Diese Frau hatte mich irgendwie fasziniert! Die Schule des Lebens hatte sich auf ihrem Gesicht gespiegelt, ihr einfacher Glaube sorgte für das Lächeln, für die heitere Gelassenheit.
Glaubens- und Lebenserfahrungen lassen sich nicht einfach kopieren, jede und jeder von uns schreibt mit an der eigenen Geschichte.
Immer wieder kann ich Menschen begegnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Schlagzeilen werden aus ihnen keine gemacht – und doch hinterlassen sie tiefe Spuren…

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