Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich kann ganz schlecht krank sein. Im Bett liegen, still halten, nichts tun: Das halte ich schlecht länger als drei Tage durch. Dann kribbelt es, die Decke fällt mir auf den Kopf, ich denke: Ich muss hier raus. Wenn man gerne arbeitet, unter Leuten ist: Dann fällt es schwer, passiv zu sein. Und womöglich auch: zu ertragen, dass gleichzeitig andere aktiv sind. All das tun können, was mir mein Körper gerade nicht erlaubt.
Mir geht es schon nach drei Tagen so. Wie schwer muss es erst für Leute sein, die von heut auf morgen richtig schwer krank werden. Die wochen-, monate-, jahrelang nicht das tun kön-nen, was sie tun wollen. Ich kann es mir kaum vorstellen. Und mir fällt wenig ein, was ich da sagen, wie ich trösten könnte. Ein Gedanke kam mir vor ein paar Wochen in einem Kloster. Ich hab dort ein paar ruhige Tage verbracht. Ein Kloster war das, in dem jeden Tag zweimal eine Stunde einfach nur still gebetet wird. Man sitzt zusammen in der Kirche vor dem Kreuz, mancher kniet – und nichts ist zu hören. Ich habe ein paar Mal mitgemacht, und natürlich fiel mir auch das schwer. Aber dann kam mir der Gedanke: Vielleicht muss ich deswegen norma-lerweise so aktiv sein, weil ich das Gefühl hab: nur so bin ich überhaupt etwas. Nur, wenn ich etwas tue, für andere nicht zuletzt: nur dann fühl ich mich so richtig vollständig und gewür-digt und wertvoll. In diesen stillen Stunden im Kloster ist mir klar geworden: Eigentlich geht das auch anders – und erst recht, wenn ich an Gott glaube. Ich bin ja etwas wert, egal, ob ich zwölf Stunden am Tag schufte oder ob ich den ganzen Tag im Bett oder im Rollstuhl verbrin-ge. In beiden Fällen habe ich eine Würde. Und ich bin von Gott geliebt. Gott hat mich unend-lich lieb: ohne dass ich nur einen Finger krumm machen muss. Die Erkenntnis kann vielleicht nicht an jedem Krankheitstag helfen. Aber trösten kann sie vielleicht doch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4793
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