SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Immer am späten Vormittag. Dann ist die Küche aufgeräumt, und das Bett ist gemacht. Das bisschen Hausarbeit geht ja schnell. Anders als früher, als ihr Mann noch gelebt hat. Da gab es immer etwas zu tun. Da war noch Leben im Haus. Aber seit er gestorben ist, sind die Tage so leer. Deswegen geht sie auf den Friedhof. Jeden Tag. Immer am späten Vormittag.

Sie liest die wenigen Blätter auf, die auf dem Grab liegen. Sie wischt den Grabstein ab. Sie putzt die Blumen aus. Dann setzt sie sich auf eine Bank, die schräg gegenüber steht. Direkt unter einer Buche. Und dann erzählt sie. Erzählt ihrem Mann, was sie ihm sonst auch erzählt hätte. Wenn er noch leben würde.

Von dem Sohn in München. Der gerade sein zweites Kind bekommen hat. Bilder haben sie geschickt von dem Neugeborenen. So ein süßes Kind. In ein paar Wochen kommen sie zu Besuch und bringen den Kleinen mit. Er soll hier im alten Heimatort getauft werden. Nur schade, dass der Opa nicht mehr dabei sein kann. So schade.

Dann seufzt sie und blickt an den Himmel. Aber vielleicht bist du ja dabei, denkt sie. Auf deine Weise. Auch wenn es mir tausend Mal lieber wäre, du wärst hier bei mir. Aber ich halte mich fest an dem Gedanken, dass du an einem guten Ort bist. Und doch irgendwie bei uns bist. Wie auch immer. Dann atmet sie durch.

Mittlerweile ist es Mittag. Ein paar Reihen weiter sieht sie eine andere Frau. Auch die kommt jeden Tag. Liest Blätter auf, wischt den Grabstein ab und putzt die Blumen aus. Jeden Tag. Und ab und an hört man, wie die sich die Nase schneuzt.

Heute werde ich sie ansprechen, nimmt sie sich vor. Oder ihr wenigstens zulächeln. Vielleicht geht es ihr wie mir. Vielleicht hält sie es einfach zu Hause nicht aus. Muss an diesen Ort. Nicht wegen der Blätter, wegen des Grabsteines, wegen der Blumen. Sondern um Frieden zu finden. Auf diesem Fried-Hof. In diesem Garten des Friedens. Auf dem man nicht nur Tod, sondern auch Leben finden kann.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4783
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