SWR2 Wort zum Tag

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Die Liebesgeschichte zwischen Jura und Lara gehört zur Weltliteratur. Und doch kennen die meisten Jura Shiwago, Doktor Shiwago, verheiratet mit Tonja, unsterblich verliebt in Lara Antipowa, nur von der Leinwand. Mit Omar Sharif und Julie Christie sahnte der Film Doktor Shiwago 1965 fünf Oscars ab. Heute vor 50 Jahren kam der Roman in deutscher Sprache heraus. Wenige Tage zuvor (23.10.1958) erhielt sein Autor Boris Pasternak dafür den Literaturnobelpreis.
Doktor Shiwago erzählt allerdings mehr als nur eine unglückliche Liebesgeschichte. Intensiv diskutieren die Romanfiguren auch religiöse Themen. Kein Wunder: Russland befindet sich in Auflösung und Chaos. Der Tod ist allgegenwärtig. Revolution und Bürgerkrieg erschüttern das Land, Meinungen und Völker prallen aufeinander. Und da schreibt Pasternak über den christlichen Glauben: „Wenn das Evangelium verkündet, im Reiche Gottes gebe es keine Hellenen und keine Judäer, wollte es damit nur sagen, vor Gott seien alle gleich? Nein, (…) das wussten schon die griechischen Philosophen (…). Aber es sagt: In dieser vom Herzen ersonnenen neuen Daseinsweise und neuen Umgangsart, die sich Reich Gottes nennt, gibt es keine Völker, sondern nur Persönlichkeiten.“ (Boris Pasternak: Doktor Shiwago, Frankfurt a.M. 2006, 167-168)
Es ist ein Allgemeinplatz: Für den christlichen Glauben ist der Mensch Gottes Ebenbild. Insofern sind alle Menschen gleich, egal was sie haben und tun, egal, was sie denken und fühlen. Gleich, das heißt: gleichwertig und gleichberechtigt. Gott nimmt alle Menschen an. Ohne Ansehen des Geschlechts, der Zugehörigkeit, der Herkunft und der Intelligenz. Eine schöne Vorstellung. Aber oft genug bleibt es nur bei dieser Aussage, in der Gesellschaft, in der Politik und leider auch in der Kirche.
Aber Gott bleibt nicht bei der Gleichheit stehen. Das betont Pasternak. Vor Gott sind alle Menschen mehr als nur gleich, sie sind Persönlichkeiten. Das heißt: Sie sind als Individuen angenommen. Sie sind mit allen Ecken und Kanten, allem Können und allen Fehlern angenommen. Pasternak nennt das: Persönlichkeiten. Und das bedeutet auch: Es reicht nicht, alle Menschen als gleich zu verstehen. Jeder einzelne muss auch in seiner Eigenart, so, wie er oder sie ist, akzeptiert werden. Denn auch Gott nimmt jeden Menschen so an, wie er ist – als Persönlichkeit.


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