SWR2 Wort zum Tag

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„Die Hölle, das sind die Anderen.“ Na ja, vielleicht nicht die Hölle. Sagen Sie. Da hat Jean Paul Sartre in seinem Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“ wohl doch übertrieben. Andererseits, schwer machen können einem andere Menschen das Leben schon sehr. Im Straßenverkehr sind es meistens die Anderen, die zu schnell fahren oder unachtsam. Die Anderen verhalten sich nicht so, wie es für ein gedeihliches Zusammenleben gut wäre. Jugendliche sind oft so laut, nehmen wenig Rücksicht. Nachbarn können sehr eigen sein und manchmal sind gerade die so unheimlich anders, die einem die Vertrautesten sind: Verwandte, Partner. Je ernster der Konflikt wird, umso mehr sehe ich mich im Recht und bei den anderen die Schuld für die Misere. Ich bin doch guten Willens, aber... Anscheinend ist dieses Muster ganz tief in Menschen verwurzelt und schon uralt.
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? -- Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge.“
Jesus ist es, der diesen radikalen Perspektivenwechsel empfiehlt. Sehr zugespitzt stellt er in den Raum: Die Hölle, das sind nicht automatisch die anderen. Die Schuld muss nicht bei ihnen liegen. Versuche einmal den kritischen Blick von ihnen weg zu wenden. Und sieh Dich selbstkritisch:
Könnte es sein, dass ich mich darum so sehr auf die Schwächen des Anderen kapriziere, damit ich meine eigenen dicken Fehler nicht wahrnehmen muss. Geschweige denn eingestehen. Anders und gar schuld sind nicht immer die Anderen. Anders und fehlerbehaftet könnte auch ich selbst sein.
„Zieh zuerst den Balken aus Deinem Auge.“
Jesus empfiehlt diesen Perspektivenwechsel nicht nur, damit wir den Anderen nicht unrecht tun. Er will damit vor allem uns selbst was Gutes tun. Ich mache mich selbst unglücklich, wenn ich so sehr die anderen und ihre Fehler sehe. Ganz allmählich kann ich so zum Misanthropen werden. Ein Menschenverächter.
Man verdunkelt sich damit die eigene Seele, vergällt sich damit die Lebensfreude. Wenn ich meine Lebensfreude davon abhängig mache, dass die Anderen werden wie ich sie gern hätte, kann ich warten, bis ich schwarz werde.
„Zieh dir den Balken aus Deinem Auge.“ Es ist besser, das Anderssein der anderen mit Neugierde und Wohlwollen zu sehen. Es ist besser, die eigene Lebensfreude zu üben als die Anderen umkrempeln zu wollen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4644
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