SWR2 Wort zum Tag

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„Wer hofft, ist jung.“ Dieser Satz stammt von der jüdischen Dichterin Rose Ausländer, die im Jahr 1901 im damals österreichischen Czernowitz geboren wurde und 1988 in Düsseldorf gestorben ist. Als Rose Ausländer im Alter von 76 Jahren als „große alte Dame der Lyrik“ bezeichnet wurde, hat sie diese Würdigung entschieden zurückgewiesen: „Wer hofft, ist jung“, hat sie gesagt.
Die Kraft der Hoffnung hat diese Frau wahrhaftig nötig gehabt für ihr dramatisches Leben, das sich zwischen dem alten Habsburger Reich, der Sowjetunion, den USA, Rumänien, Paris und Deutschland ereignet hat. Als Jüdin war sie in ihrer Heimatstadt Czernowitz durch die deutschen Besatzer an Leib und Leben gefährdet. In einem Kellerversteck hat sie den Krieg überlebt. Danach dichtet die später erfolgreiche Lyrikerin lange nur in englischer Sprache; sie weigert sich, auf Deutsch, in der „Sprache der Mörder“, zu schreiben. Erst im Jahr 1956 löst sich dieser Bann. Nach einem Unfall im Jahr 1972 – inzwischen lebt sie in Düsseldorf – wird sie pflegebedürftig, von 1978 bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 kann sie das Bett nicht mehr verlassen. Die Jugend habe sie nie verloren, schreibt ihr Biograph.
Nicht dass Rose Ausländer das Alter verharmlost hätte. So schreibt sie etwa sehr bitter über die Schwierigkeiten, sich als betagter Mensch im Literaturbetrieb zu behaupten. Aber es geht ihr um anderes: Manche Menschen, sagt sie einmal, sind tot, weil sie ohne Humor durchs Leben gehen, weil sie sich mit der Enge zufrieden geben, in der sie sich behaglich eingerichtet haben, weil es ihnen gar nicht in den Sinn kommt, dass es immer ein Darüberhinaus geben kann – Loslassen und neue Freiheit zugleich. Weil ihnen die Dynamik fehlt, Begrenzungen zu sprengen und Schritte ins Offene zu wagen. „Wer hofft, ist jung“, weil er immer noch Neues vom Leben erwartet.
Aber da ist noch eine andere Dimension. „Ich bin fünftausend Jahre jung“, schreibt Rose Ausländer über sich selbst - in einem Gedicht mit dem Titel „Jerusalem“. „Wenn ich die Augen nach Osten schließe“, sagt sie weiter, „ schwingt Jerusalem auf dem Hügel fünftausend Jahre jung zu mir herüber.“ Mit dem Namen Jerusalem verbindet sich für jüdische Gläubige die uralte Hoffnung auf Erlösung und Freiheit, auf den rettenden Gott. Diese Hoffnung ist trotz aller Katastrophen auch nach 5.000 Jahren immer noch jung und aktuell. Sie ist auch in der Jüdin Rose Ausländer lebendig und lässt sie kraftvoll und jung und voller Visionen bleiben, auch als betagte und kranke Frau. „Der Traum lebt mein Leben zu Ende“, schreibt sie zuletzt.
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