SWR4 Abendgedanken RP

SWR4 Abendgedanken RP

Almut Schwab hat mit ihren Geschwistern den eigenen Vater im Sterben begleitet. Das ist heute nicht selbstverständlich. Deshalb wissen viele nicht, welcher Reichtum sich eröffnet, wenn man einen Menschen auf seinem letzten Weg begleitet.
So war es auch bei Almut Schwab:

Ich hab noch in meinem ganzen Leben nie ein so’n zufriedenes, seliges Gesicht gesehen. Seelenruhe hab ich gesagt!

1. Teil
Und Gott wird abwischen alle Tränen

Vor einiger Zeit war sie wieder einmal ins öffentliche Gerede gekommen – die Hilfe zum Sterben, die Hilfe beim Sterben. Ein sensibles Thema, das mich nicht loslässt. Es lässt mich nicht los in meinem Dienst als Pfarrer. Dort begegne ich dem Sterben von Menschen oft, manchmal öfter als mir lieb ist. Und es lässt mich nicht los, weil ich meine eigene Unsicherheit, meine eigene Angst vor dem Sterben spüre. Sie macht mich unruhig. Ich denke, da geht es mir wie vielen anderen.
Für mich sind es dann aber auch immer ganz besondere Momente, wenn ich dabei sein darf, wenn das Sterben eines Menschen gelingt. Dann werden nämlich alle Beteiligten dabei getröstet.
Vor wenigen Tagen starb ein guter Freund. Und er starb so, wie es sich viele Menschen wünschen. Ohne Schmerzen, im Kreise der Familie. Alle Kinder waren da, auch die Enkelkinder. Ich habe mit ihnen direkt nach der Beerdigung gesprochen. Und sie haben mir erzählt wie sie waren, die letzten Wochen mit dem Vater, dem Opa. Eine der Töchter erinnert sich, wie es in ihr aussah, als feststand, dass nun bald der Vater sterben wird:

Mein erster Impuls war Angst. Ich hatte Angst, das zu erleben, dass mein Vater stirbt, weil ich das auch noch nie erlebt habe, einen sterbenden Menschen und den Vater da so liegen zu sehen, der immer so ein mächtiger Mensch war in meinem Leben, den so ohnmächtig zu sehen, das war erschütternd für mich.

Auch ihre Tochter Katharina erinnert sich noch sehr gut an den Moment, als sie das erste Mal an das Sterbebett ihres Großvaters kam. Sie fühlte sich- ja ganz erleichtert:

… , nicht weil ich gedacht habe, ihm geht’s gar nicht so schlecht wie gedacht, sondern einfach weil ich jetzt bei ihm war und es ging mir dann auch die folgenden Tage so, dass es mir besser ging, wenn ich bei ihm war.

Beide, Mutter und Tochter haben in dieser Zeit ganz wichtige Erfahrungen gemacht. Erfahrungen, die ihnen für das eigene Leben Mut machen:

Ich war unendlich dankbar, das miterleben zu dürfen, das war wie ein Geschenk für mich und ich hab soviel Angst verloren. Auch davor, dass ich ja selber mal sterben muss. Und ich hab in meinem ganzen Leben noch nie ein so zufriedenes, seliges Gesicht gesehen. Seelenruhe, hab‘ ich gesagt.

Allerdings: jetzt, direkt nach der Beerdigung fühlt sich Almut Schwab müde. Und vieles fällt von ihr ab wie eine schwere Last. Ähnlich und doch ein bisschen anders geht es ihrer Tochter Katharina:

Ich bin irgendwie ganz aufgedreht und müde gleichzeitig, also, es war für mich nicht so schlimm wie ich gedacht habe. Es war für mich nur noch der Körper, der da runter gelassen wurde. Und es war irgendwie so rührend - die ganzen Menschen, die teilgenommen haben, der familiäre Zusammenhalt, den zu spüren, das ist schön, aber man merkt richtig die körperliche Erschöpfung nach der Beerdigung.

Katharina und Almut Schwab haben ihren eigenen Vater in seinem Sterben begleitet. Ich kenne andere, die einen Teil der eigenen Zeit dafür einsetzen, andere, fremde Menschen bei ihrem Sterben zu begleiten. Sie helfen in einem Hospiz. Wie sie ihren Dienst erleben, darum soll es im zweiten Teil gehen.

2. Teil
Auf dem Gelände der kreuznacher diakonie, einer großen Einrichtung für Kranke und Menschen mit Behinderungen, gibt es ein besonderes Haus: das Eugenie- Michels- Hospiz.
Geht man auf dieses Haus zu, dann spürt man förmlich, wie man alle Geschäftigkeit auf dem Gelände hinter sich lässt. Die Ruhe, die dieses Haus ausstrahlt, ist außen genauso zu spüren wie innen.
Menschen kommen hierher, um in Ruhe und Würde sterben zu können. Alles Fachpersonal, das dazu nötig ist, kümmert sich um die Bewohnerinnen und Bewohner. Aber nicht nur sie. Viele Ehrenamtliche unterstützen sie dabei. Menschen, die im eigenen Leben auch einen Sinn darin sehen, für andere in ihrem Sterben da zu sein. So gut es ihre Zeit und Kraft erlaubt, übernehmen sie alle möglichen Dienste – vom Kaffeekochen über Vorlesen bis zum einfachen Dasein im Zimmer eines Sterbenden. Bernd Butzbach engagiert sich ehrenamtlich in vielen politischen Ämtern, ist eigentlich „immer auf Achse“ und hat dann vor vier Jahren versucht, sich ganz anders zu engagieren, denn:

Ich hatte in meinem Leben schon sehr viel Glück gehabt und wollte immer schon für andere Leute etwas geben. Ich hatte geglaubt, dass ich da den Menschen etwas bringen kann. Ich habe erlebt, dass ich das nicht kann. Ich habe von denen sehr viel bekommen, egal in welcher Form.

Und das erlebt er regelmäßig, wenn er in das Hospiz kommt und seine freiwilligen Dienste tut. Natürlich möchte er da sein, um anderen helfen zu können. Mittlerweile versteht er diesen Ort aber auch als einen Ort, wo er täglich neu lernen darf.

Im Hospiz lernt man, mit Menschen ganz anders umzugehen. Da gibt’s keine Lüge, da geht es ganz ehrlich zu. Und etwas ganz Wunderbares ist die Gestik, die Mimik und die Augensprache. Die hab ich dort gelernt und das ist etwas ganz Wunderbares.

Mit dem Dienst im Hospiz hat sich seine Einstellung zum Leben, auch zum eigenen Leben und zum eigenen Sterben verändert. Die tiefen Erfahrungen in diesem ehrenamtlichen Dienst haben ihn tief geprägt. Das Sterben ist für ihn kein Tabuthema mehr. Ein Ritual, das fester Bestandteil im Hospiz ist, beeindruckt ihn jedes Mal neu:

Eine ganz wunderbare Erfahrung ist, wenn ein Bewohner in das Haus kommt, dann kommt er in der Haupteingangstür in das Haus. Wenn der Bewohner verstirbt, wird in überwiegenden Fällen eine Aussegnung vorgenommen, das ist etwas ganz Persönliches. Und wenn dann der Verstorbene das Haus verlässt, dann verlässt er es durch den Haupteingang wie gekommen und die Ehrenamtlichen wie die Hauptamtlichen stehen an der Tür bis man den Leichenwagen nicht mehr sieht.

So wird das Gehen genauso gewürdigt wie das Kommen. „Der Herr segne deinen Ausgang und deinen Eingang“, heißt es im 121. Psalm dazu. So will es Gott selbst, den Menschen begleiten von Anfang an bis zu seinem Ende – und weit darüber hinaus. Wie Gott das schon in der Bibel tut - einen Menschen beim Sterben zu begleiten - darum soll es gleich im dritten Teil gehen.

3. Teil
Ich finde es immer wieder beeindruckend, wenn ich das sehe: Menschen begleiten andere in ihrem Sterben. Das macht mir Mut. Aber da ist noch etwas ganz anderes, was mir auch Mut macht. Ganz oft erlebe ich in solchen Momenten, wie nahe Gott selbst dann da ist. Und wie er allen Beteiligten weiterhilft. Gott stärkt die Trauernden und ist bei den Sterbenden. Der Friede, der auf einmal geradezu greifbar, spürbar wird – diese geheimnisvoll friedvolle Atmosphäre in einem Sterbezimmer- für mich ist sie die immer wieder neu geschenkte Nähe Gottes.
Sehr eindrucksvoll erzählt die Bibel, wie der alte Moses nach seiner langen Wanderung durch die Wüste stirbt. Vieles finde ich darin wieder in dem, das mir heute in einem Sterbezimmer begegnet und was ich mir selbst wünsche.
Moses ahnt, dass er bald sterben wird. Er schreibt noch einmal ein Lied, sein letztes Werk. Und in diesem Lied sagt er noch einmal deutlich, was schief gelaufen ist, aber auch, dass Gott sein Volk niemals verlässt. Das Lied ist fertig und nun kündigt Gott ihm sein Sterben an. Auf einmal ist Moses sicher, dass alles wahr ist, dass Gott bis zuletzt mitgeht, ja sogar noch über seinen Tod hinaus weitergeht mit ihm - und mit seinem Volk. Moses darf auf einen Berg steigen, darf das Land sehen, in dem das Volk Israel nun leben wird. Gott beruhigt ihn also mit einem Blick in die Zukunft. Da spürt Moses, dass er nun loslassen kann. Und er möchte das im Kreise der Menschen, die ihm so wichtig waren. Sie kommen noch einmal zusammen und Moses segnet alle zwölf Stämme Israels. Trotz aller Wirrungen und Verirrungen, die er mit dem Volk Israel auf dem Weg ins gelobte Land erlebte, am Ende schaut Moses beruhigt auf sein Volk zurück, wenn er sagt:

Nun wohnst du in sicheren Grenzen, ausgesondert aus den übrigen Völkern. Tau und Regen schenkt dir der Himmel, Korn und Wein bringt die Erde in Fülle hervor. Wie glücklich bist du, Israel! Kein anderes Volk kann sich mit dir vergleichen, denn der HERR ist dein Helfer. Du kannst dich auf ihn verlassen.

Dann geht Gott mit Moses auf den Berg und schaut mit ihm auf das gelobte Land. Und Moses stirbt. Gott selbst begräbt ihn im Tal. Diese Geschichte hat mich schon immer beeindruckt.
Wenn es zu Ende geht, noch einmal ein Lied schreiben, geliebte Menschen um sich haben und dann mit Gott an der Hand gehen, dahin, wo er es will – ja, das wär’s! Das hilft mir jetzt schon in meinem Leben.
Die Geschichte vom sterbenden Moses steht im 5. Buch Mose, also ziemlich am Anfang der Bibel.
Ziemlich am Ende der gleichen Bibel, im Buch der Offenbarung, dem letzten Buch des neuen Testamentes steht etwas, was ich allen wünsche, die um einen lieben Menschen trauern. Dort heißt es:

Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.https://www.kirche-im-swr.de/?m=4616
weiterlesen...