Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Meine Kinder können da sehr radikal reagieren. „Wenn ich wüsste, dass ich einmal so wackelig und krank werde, würde ich vorher Schluss machen.“ Vor tausend Jahren hat einer, der die Last des Alters am eigenen Leib spürte, seine Sorgen so ausgedrückt: „Wie lange soll das noch dauern, Herr, wie lange? Wann endlich reißt du deinen Himmel auf und kommst herab? Dann könntest du mit deinem vernichtenden Zorn meine Stumpfheit brechen. Dann müsste ich aufhören, so zu sein, wie ich bin“. (Wilhelm von Saint-Thierry, 1080-1149).
Die Themen Alter und Pflege sind hoch emotional besetzt. Angewiesen–Sein auf andere? Nein, lieber vorher Schluss machen! Ganz unmittelbar stellt sich mit dieser Meinung die Frage nach dem Sinn des Lebens. Denn das ist Realität: Anonymität und Einsamkeit prägen oft das Leben alter Menschen. Daraus können Depressionen, Süchte und Verwahrlosung entstehen. Seelsorger, die viel mit alten Menschen arbeiten, stellen fest, dass auch religiöse Hoffnungen verloren gehen. Das Bild vom sorgenden, vom „lieben“ Gott, trägt nicht mehr. Die eigene, kleine Welt dreht sich nur noch um sich selbst, das eigene Leiden, das eigene Verlassen-Sein.
Wie bin ich, wenn ich alt bin, krank, gebrechlich und vergesslich? Wenn die Augen nicht mehr sehen und die Füße nicht mehr tragen? Wer ist für mich da, wenn ich langsam aber sicher die Welt verliere, weil der Kopf nicht mehr mitmacht? Wer betet für mich, wenn ich mich selber nicht mehr kenne? Wo kommt dann noch Sinn her?
Experten sagen, dass gerade dann Zuwendung und Beziehungspflege bitter nötig sind. Alte Menschen sind „beziehungsbedürftiger“ sagen die Pflege-Experten und behaupten, das auch die einfachsten Hilfe- und Pflegemaßnahmen ein Beziehungsgeschehen sind. Das könnte doch ein Anfang sein: sich hinsetzen und einfach einmal Zuhörer sein. Jenen lauschen, denen niemand mehr zuhören will. Der Geschwindigkeit des Alltags Geduld, Langsamkeit, Verweilen entgegensetzen. Und - als Christ gesprochen - in dem, den niemand mehr ansehen will, das Gesicht Gottes sehen. Die Möglichkeit gibt es in jedem Alten- und Pflegeheim und vielleicht sogar im Haus gegenüber.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=4593
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