Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn er heute noch einmal einen Film drehen könnte, würde er vielleicht die Rolle des kleinen Bankangestellten spielen und sich komplett in der Welt der Hochfinanz und des Börsenparketts verheddern. Jacques Tati, der französische Komiker und Erfinder des Monsieur Hulot würde heute 100 Jahre alt. Und ich stelle mir vor, mit wie viel Genuss er z.B. die heutige Handygesellschaft auf die Schippe nehmen würde. Alle reden, aber nie mit dem, der direkt neben ihnen sitzt. Monsieur Hulot würde das sicher anders machen, denn der hat so seine Probleme mit den Errungenschaften des technischen Fortschritts.
Er ist immer schneller oder langsamer als seine Mitmenschen.
Als Postbote Francois versucht er im Film „Das Schützenfest“ der modernen technischen Entwicklung auf seinem alten Fahrrad hinterher zu hecheln. In Amerika wird die Post maschinell sortiert und mit ausgeklügelten Verteilsystemen ganz schnell zum Empfänger gebracht. Francois ist begeistert und will mangelnde Technik durch viel Landwein und Eifer wettmachen. Das endet in einem heillosen Schlamassel. Bis er feststellt, dass man das alles in seinem kleinen französischen Dorf gar nicht braucht.
In "Die Ferien des M. Hulot" trotzt er der rationalen modernen Gesellschaft in vielerlei Weise: Mit fast kindlicher Naivität verstört er die Gäste und die Angestellten seiner Ferienpension am Meer. Egal welche Handlungen er ausführt: sie enden im Chaos.
Hulots altmodische Kleidung und sein Auftreten als Gentlemen wirken in der modernen Welt wie ein Relikt aus anderen Zeiten. Und meist hinkt Hulot in der Wahrnehmung der äußeren Welt hinterher.
Was mir an den Figuren Jacques Tatis so gut gefällt?
Sie passen sich so gar nicht an an das, was gerade so angesagt ist.
Seine Figuren sind besondere Rebellen. Der Briefträger Francois lehnt sich gegen den Lauf der Gesellschaft auf und fällt mit viel Komik wieder in sie zurück. Mr. Hulot ist ein Einzelgänger, der die Welt mit einfachen Augen sieht und deshalb so manche
gesellschaftliche Regel als wenig hilfreich entlarvt.
Und was mir besonders gefällt: man merkt Tati immer einen optimistischen Unterton an. Er hat Verständnis für die Schwächen seiner Menschen. Für ihn sind sie Opfer einer Gesellschaft, die menschliche Werte verloren hat; das System selbst ist der Feind, nicht die Menschen darin. Schade, dass er den Film über unser Banken- und Finanzsystem nicht mehr drehen kann.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4592
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