SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen.“ So begann in meinem Elternhaus in der Regel die gemeinsa-me Mahlzeit. Mit der Zeit kann sich ein solches Gebet abnutzen, zur bloßen Formel werden, die man gedankenlos hinmurmelt.
Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem Leben, in der ich mit frommen Tischsitten wenig anfangen konnte. Aufrichtig mitsprechen – da sträubte sich etwas in mir; und noch schwerer fiel es mir, eigene Worte zu finden. Ich empfand es einfach als zu bedrückend, dass da irgendwo „draußen“, in anderen Teilen der Erde, Menschen an Hunger starben, während ich vor einem viel zu üppig gedeckten Tisch saß. Zu fragwürdig erschien es mir, wie wir unsere Lebensmittel produzieren – auf Kosten unserer eigenen Ge-sundheit und auf Kosten der Natur, der wir diese Früchte abverlangen. Zu den Tischgebeten, mit denen ich aufgewachsen war, mochte dies nicht passen.
Deshalb wollte ich lieber schweigen. Schweigen, aber nicht vergessen. So habe ich für mich anstelle des Tischgebets ein kurzes Innehalten, einen Moment des Schweigens am gedeckten Tisch eingeführt. Und aus dem Schweigen ist dann irgendwann Neues entstanden. Nach und nach erhielt die Sitte des Tischgebets für mich einen neuen Sinn: Ich kann dankbar da-für sein, dass und wie Gott die Welt geschaffen hat. Dass in ihr bereit liegt, was ich zum Leben brauche. Ganz elementar, um meinen Hunger zu stillen: Brot und Früchte zum Beispiel.
Dankbarkeit kann manches verändern: Einkaufsgewohnheiten etwa. Dankbarkeit erinnert mich an den kleinen Zipfel von Verantwortung, den ich in der Hand halte, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Sie verwandelt auch den Stil des Essens. Es geht nicht um bloße Nahrungsaufnahme und nicht ums Schlemmen, sondern darum, ganz bewusst anzunehmen, was Gott zum Leben gibt.
Der Verzicht auf ein Ritual, das mir problematisch geworden war, hat mich zu einer neuen Sichtweise geführt – und so konnte das „gute, alte Tischgebet“ neu entdeckt werden. In dieser Suchbewegung kamen damals auch neue Texte hinzu. Viel habe ich beispielsweise von einem Gebet gelernt, das gerade aus einem Land stammt, in dem nicht der Überfluss den Tisch deckt. Ein Afrikaner aus Tansania hat es im Angesicht eines Marktstands geschrieben:
„Herr, bitte segne dieses Essen. Ich bin dir so dankbar dafür. Der Geruch des Fleisches steigt mir in die Nase. Ich sehe und schmecke die Erbsen, Bohnen, Karotten und Kartoffeln. Ich greife das Brot mit meinen Händen. Du bist so gut mit all diesem Essen zu mir. Danke, dass ich auch genug Geld habe, denn das Essen ist teuer hier auf dem Markt. Danke für alles.“ https://www.kirche-im-swr.de/?m=4564
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