Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es gibt ein Gedicht, das heißt „Mutters Hände“. In echtem Berlinerisch ist es geschrieben, und auf Hochdeutsch geht es ungefähr so: „Hast uns Stullen geschmiert und Kaffe gekocht und Töpfe rübergeschoben und gewischt und genäht und gemacht und gedreht und alles mit deinen Händen. Hast die Milch zugedeckt, uns Bonbons zugesteckt, und Zeitungen ausgetragen, hast die Hemden gezählt und Kartoffeln geschält, alles mit deinen Händen…“ Und weil der Dichter seine Mutter liebte, verschweigt er nicht, dass die Mutterhände auch Kopfnüsse verteilten.

Meine Mutter wird in diesem Jahr 80 alt. Und seltsam: wenn ich an meine Mutter denke, dann denke ich auch zu allererst an ihre Hände. Wie gut ihre Hände taten, wenn ich krank war, wie schön es war, wenn sie mir die kühle Hand auf die heiße Stirn legte und wie angenehm es war, wenn sie mit festem, und doch vorsichtigem Griff Wadenwickel um meine Bein legte. Ich denke daran, wie sie mich als Kind an die Hand nahm, wenn wir abends noch einen Spaziergang durch die dunklen Großstadtstraßen machten. Das hatte so etwas Vertrauenserweckendes, Beruhigendes. Geschickte Hände hat sie. In Handarbeit war sie immer viel besser als ich. Ruckzuck hatte sie der Tochter die Topflappen für den Handarbeitsunterricht häkelte. Das war eigentlich verboten, aber ihre Topflappen waren wirklich schön. Und ich erinnere mich, wie sie mir das Schreiben beigebracht hat, wie sie mit dem Griffel auf der Schiefertafel eine lange Reihe Ls, und Ms vorzeichnete. Briefe schreibt meine Mutter auch heute immer noch mit der Hand und so schön, als wäre jeder Buchstabe gemalt. Aber seit mein Vater tot ist, schreckt sie auch nicht davor zurück, mal einen Schlagbohrer in die Hand zu nehmen, um ein paar Dübel in der Wand zu befestigen. Oder eine Kneifzange, um ihr Fahrrad zu reparieren.
„Mutters Hände“ haben alles in der Hand: die Erziehung, die Ernährung und den Trost. Wenn ich mir Gottes Hand vorstelle, dann so wie die Hand meiner Mutter. Fest und weich und tröstend.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4558
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