Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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23SEP2008
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„Es gibt ein unfehlbares Rezept, eine Sache gerecht aufzuteilen: Einer darf die Portionen bestimmen und der andere hat die Wahl“. Wohl wahr, was da Gustav Stresemann, ein deutscher Politiker, vor ca. 100 Jahren gesagt hat. Ihm dürfte allerdings auch damals schon bewusst gewesen sein, dass ein solch einfaches wie geniales Verfahren in den seltensten Fällen zur Anwendung kommt. Wenn zum Beispiel schon kleine Kinder 14 Stunden am Tag schuften um Teppiche zu weben oder Fußbälle zu nähen und anderorts Warenhausketten oder Börsenhändler den Gewinn abkassieren. Den Leuten, die da schuften und billigst abgespeist werden, wird das Evangelium, das vorgestern in den katholischen Gottesdiensten verkündet wurde, heftig aufstoßen. Es erzählt von einem Gutsbesitzer. Für seinen Weinberg sucht er Arbeiter und stellt sie dann ein. Ein paar am frühen Morgen und als das nicht reicht, stellt er auch am Mittag und Nachmittag noch welche ein. Als es Abend wird zahlt der Gutsbesitzer die Arbeiter aus. Die den ganzen Tag arbeiteten erhalten einen Denar. Aber auch die, die viel weniger geschuftet hatten bekommen einen Denar. Die ersten beschweren sich daraufhin, wen wundert’s? Aber der Gutsbesitzer wimmelt sie ab. Er sagt: „ Meine Freunde, euch geschieht kein Unrecht. Nehmt euer Geld und geht. Ich will dem letzten ebensoviel Geld geben wie den ersten. Darf ich nicht mit dem, was mir gehört, machen was ich will? Oder seid ihr neidig, weil ich zu anderen gütig bin?“ (frei nach Mt 20,1-16) Wer will, kann den Gutsbesitzer, mit dem natürlich Gott gemeint ist, als einen knallharten Kapitalisten sehen: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“ Aber der Text stellt Kapitalisten keinen Freibrief aus. Jesus beginnt deshalb das Gleichnis mit der Einleitung: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer. Jesus will also sagen: Gottes himmlische Gerechtigkeit geht mit Güte und Barmherzigkeit einher. Klar ist: Unsere Welt wäre reicher, wenn alle den von Gustav Stresemann formulierten Satz beherzigen würden: Es gibt ein unfehlbares Rezept, eine Sache gerecht aufzuteilen: Einer darf die Portionen bestimmen und der andere hat die Wahl. Gott aber – und das will das Gleichnis vom Gutsbesitzer sagen – geht noch einen Schritt weiter. Er benachteiligt keinen in dem Sinn, dass er ihm weniger gibt als versprochen. Er erlaubt sich, seine Zuneigung zu allen Menschen zum Ausdruck zu bringen, dass er jedem gibt, was er zum Leben nötig hat. Ein Denar war damals die Summe, die ein Mensch täglich zum Leben brauchte. Das schenkt Gott jedem – auch und gerade dann, wenn andere ihn nicht mehr haben wollten. „Die Letzten werden die Ersten sein“, sagt deshalb auch Jesus. Auch wenn das manch einer unfair und ungerecht empfinden sollte. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4529
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