SWR2 Wort zum Tag

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Eigentlich ist es ja doppelt ungerecht, aber es ist so: Nachtragen belastet: Und zwar in erster Linie den, der nachträgt. Wer zum nachtragen neigt, muss sich diesen Sachverhalt klar machen. Auch wenn das dann vielleicht erst recht weh tut.
Denn eigentlich träge ich ja dem anderen, das womit er mich verletzt hat, nicht nach, weil
ich mich belasten will, sondern weil ich das, was er mir angetan hat, nicht vergessen kann.
Es nicht auf sich beruhen lassen kann und mag, womit er mir weh getan hat.
Und ich trage dem anderen die Last auch nicht aus Spaß nach, sondern weil ich vom anderen erhoffe und erwarte, dass er sie mir wieder abnimmt. Dass er oder sie sich bei mir meldet,
um Entschuldigung bittet, den ersten Schritt zur Versöhnung tut. Aber wenn vom anderen nichts dergleichen kommt, dann bleibt die Last des Nachgetragenen allein auf mir. Und es
kann sein, dass sie mit der Zeit immer schwerer wird. Der andere hat vielleicht längst schon vergessen, was ich ihm nachtrage. Ihn belastet es nicht, nur mich. Spätestens wenn ich das kapiert habe, muss ich mich entscheiden: Weiter nachtragen oder die Last endlich loswerden, bevor sie ein Teil von mir selbst wird.
Wie kann ich aufhören mit dem Nachtragen?
Die erste Möglichkeit scheint mir: „Spring über deinen Schatten.“ Wenn der andere nicht den ersten Schritt tut, weil für ihn alles längst erledigt ist, dann muss ich ihn tun. Ihm sagen,
womit er mir weh getan hat und die Last der Vergangenheit zur Sprache bringen, mit der Bitte um Klärung. Allerdings: Manchmal kann so ein Gespräch nur gelingen, wenn ich keine Entschuldigung erwarte oder gar verlange. Eine Aussprache kann auch von der Last des Nachtragens befreien, wenn man gemeinsam auf die Klärung der Schuldfrage verzichtet.
Und wenn der andere nicht mit mir reden will oder nicht mehr kann? Was tu ich dann mit meiner nachgetragenen Last? Dann können Dritte helfen. Stellvertretend. Das geht. Indem
ich meine Last mit einem unbeteiligten Dritten teile. Ihm mitteile, was ich mit mir herumtrage. In so einem Gespräch kann ich die nachgetragene Last auch dadurch ablegen, dass ich vor den Ohren eines anderen dem verzeihe, der mich verletzt hat. Auch das entlastet. Denn das Nachtragen kann aufhören.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4480
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