SWR2 Wort zum Tag

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Die Angst vor dem Fremden überwinden. Die Begegnung mit dem Fremden als Weg sehen, sich selbst kennen zu lernen, dazu wollte Ryszard Kapuscinski durch seine journalistische Arbeit beitragen.
Kapuscinski gehört zu den großen Journalisten in der Gegenwart. Als Korrespondent der polnischen Nachrichtenagentur PAP bereiste er unzählige Länder, vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika. Seine Reportagen aus der dritten Welt wurden weltberühmt. 1999 wurde er in Polen zum „Journalisten des Jahrhunderts“ ernannt.
Im vergangenen Jahr ist er im Alter von 74 Jahren in Warschau verstorben.
„Es genügt nicht, zu ihnen – den Menschen in anderen Ländern – zu reisen, man muss auch unter und mit ihnen leben“. So hat er geschrieben. (Der Andere, Frankfurt 2008, 29). Kapuscinski berichtet nicht aus dem Blickwinkel der großen Hotels der Hauptstädte, sondern aus dem der Straßen, auch der Nebenstraßen der Vorstädte und der endlosen Wege im Innern der betreffenden Länder, und er schreibt über Welten und Menschen, die ihm fremd waren. Er versuchte zu verstehen, damit auch andere verstehen und schätzen lernen können. Und er nahm dafür große Mühen und Strapazen auf sich.
„Jeder Mensch, dem wir auf Reisen in der Welt begegnen“ – so hat Kapuscinski dabei gelernt – „setzt sich gleichsam aus zwei Wesen zusammen. ... Eines dieser Wesen ist ein Mensch wie jeder von uns; er hat seine Freuden und seine Trauer, seine guten und schlechten Tage, ein Mensch, der sich seiner Erfolge erfreut, der nicht gern hungert, der es nicht gern kalt hat, der Schmerzen als Leid und Unglück empfindet und Erfolg als Befriedigung und Erfüllung. Das zweite Wesen, das sich über das erste lagert und mit diesem verbindet, ist der Mensch als Träger rassischer Merkmale, einer bestimmten Kultur, eines Glaubens und bestimmter Überzeugungen. Keines dieser Wesen tritt in reiner, isolierter Form auf, beide leben miteinander, sind voneinander abhängig.“ (10) Heute sind „alle Bewohner unserer Erde … an allen Orten Andere gegenüber den Anderen – ich gegenüber ihnen, sie mir gegenüber.“ (86)
Kapuscinskis Aufforderung – und heute können wir sagen: sein Vermächtnis an jeden einzelnen lautet: „Halte inne. Neben dir ist da noch ein anderer Mensch. Geh, ihm entgegen. Eine solche Begegnung ist das größte Erlebnis, die wichtigste Erfahrung. Schau dem Anderen ins Antlitz, das er dir entgegenhält. Durch sein Antlitz öffnet er sich dir, mehr noch, bringt er dich Gott näher.“ (Der Andere“, Frankfurt 2008, 33)
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