SWR3 Gedanken

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Es soll einen Indianerstamm geben, der jeden Morgen ein Sonnenritual macht. Und diese Indianer seien der Ansicht die Sonne gehe nur auf weil sie dieses Ritual vollziehen.
Ganz schön selbstbewusst könnte man sagen. Oder auch ganz schön naiv. Zu Zeiten astrophysikalischer Erkenntnisse. Aber wie auch immer. Die Geschichte mit den Indianern zeigt die Kraft der Rituale. Rituale sind in unseren Breitengraden aus der Mode gekommen. Ein aufgeklärter Mensch von heute macht keinen solch unbewussten oder abergläubigen Schnickschnack. Die Rituale von heute findet man in der Arbeitswelt oder im Sport. In immer den selben Abläufen im Büro oder bei einem Fußballer, der sich immer zuerst den linken Schuh anzieht. Rituale sind aber alles andere als vorgestriger Schnickschnack. Rituale entlasten, schaffen Sicherheit. Sie sind Handlungen, die ganz bestimmten Regeln folgen und die mehr oder weniger unbewusst vollzogen und in bestimmten Abständen wiederholt werden. Rituale reduzieren Angst und vor allem sie unterbrechen den Alltag. „Jeden Tag das selbe, das bringt einen auf die Dauer um“, hat der Philosoph Ernst Bloch gesagt. Rituale schaffen Abwechslung, schaffen heilsame Auszeiten, weil sie Inseln sind, Inseln im Fluss der Zeit. Sie sind Energiespender, weil sie einen durch vertraute, immer gleiche Abläufe in einen halbaktiven Zustand bringen, einen Zustand, der Entlastung, in dem ich innerlich absacken kann, absinken in Richtung Zentrum meiner Person, meines Daseins.
Wer sich keine Unterbrechungen schafft, dreht irgendwann hohl oder brennt aus. Es gibt verschiedenste Gelegenheiten zu ritualisierten Unterbrechungen des Alltags. Es gibt den abendlichen Spaziergang um den Block, den Sonntag als Ausruhtag und nicht zuletzt den Gottesdienst. Er ist eines der Urrituale, das nicht lästige Pflicht sein sollte, sondern ein inneres Bedürfnis, weil es den Menschen gut tut.
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