Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Als Kind war ich ziemlich wild, aber auch fromm. Ich hab immer draußen gespielt, am liebsten auf den Trümmergrundstücken, die es Anfang der 60er Jahre in Bochum noch gab.
Eines Tages spielte ich mit ein paar Freunden in einem Steinbruch. Wir waren alle so 8/9 Jahre alt. Wir kletterten in dem Steinbruch immer weiter nach oben. Und schließlich waren wir so weit oben, dass wir nicht mehr runterkamen.

Die Panik war groß. Dann kam eins der Mädchen auf die Idee, wir könnten doch beten. Gott kann uns doch helfen. Schließlich ist er zuständig für Menschen in Not. Das war uns sonnenklar. Ich weiß nicht mehr, welche meiner Freunde eigentlich dabei waren. Aber ich weiß noch genau, wie wir 5 Kinder uns in einen Kreis aufgestellt haben. Jeder hat seine Hände gefaltet. Wir haben Gott gebeten, dass er uns jetzt hilft. Und dann haben wir das Vater unser gebetet. Ich kann mich noch heute erinnern, wie sich das angefühlt hat. Mir war klar: da ist Gott, der passt auf uns auf. Wir sind nicht allein. Und ich fühlte mich geborgen, trotz der brenzligen Lage.

Das Vater unser - So viele andere Gebete kannten wir auch nicht. Und wir haben kaum verstanden, was wir da beteten. Aber das war egal. Hauptsache Gebet, und das konnten wir alle auswendig.
Fremde Worte - geliehene Worte. Worte, die in unser jugendliches Unterbewusstsein gerutscht waren. Gut, wenn man solche Worte parat hat.
Sie sind die Notsprache, wenn einem das Leben die Sprache verschlägt, sagt der Theologe Fulbert Steffensky.
Ich weiß auch nicht mehr, wie wir schließlich aus dem Steinbruch wieder rausgekommen sind. Ich weiß nur, dass wir alle damals unverletzt nach Hause gingen.

Heute erlebe ich manchmal am Krankenbett oder am Sterbebett, wie das Gebet hilft, aus einer schwierigen Situation herauszufinden. Menschen, die kaum noch sprechen können, bewegen ihre Lippen mit, wenn ich das Vater unser bete. Ich spüre den Trost und kann ihn sehen im Gesicht der Kranken. Denn Gott ist da.

Ob man ein wildes Kind ist oder ein gebrechlicher älterer Mensch, Unser Vater im Himmel – der gibt Geborgenheit, Schutz in der Not – im Steinbruch, im Krankenbett, immer.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4326
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