Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Vor ein paar Wochen war ich mit meiner erwachsenen Tochter unterwegs. Nur wir zwei Frauen. Durch die Boutiquen tingeln und alles mal anprobieren.
„So siehst du toll aus!“ sagte meine Tochter manchmal zu mir und, „das steht dir gut!“ Umgekehrt war das nie eine Frage. An meiner Tochter sah alles toll aus. Und das habe ich ihr auch gesagt. Ehrlich gesagt, ich habe es genossen. Und auch die bewundernden männlichen Blicke, die uns streiften. Uns. Dachte ich. Bis ich merkte. Die Männer meinten gar nicht uns. Sie sahen nur meine Tochter. Ich war daneben wie Luft, als wäre ich gar nicht da.

So also fühlt sich das an, wenn man alt und grau ist, dachte ich. Keiner sieht dich, keiner findet dich toll. Es ist, als gäbe es dich gar nicht mehr. Das fühlt sich überhaupt nicht gut an. Es hat fast etwas Vernichtendes.

Vor 3000 Jahren ermahnte die Bibel die Männer, auch die andere, die innere Schönheit der Frau zu bewundern. „Lieblich und schön sein ist nichts, steht da, ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben.“

Die innere Schönheit. Ich bin sicher, die ist nicht nur da. Die innere Schönheit einer Frau kann man auch sehen. Wenn man denn einen Blick dafür hat. Manche Männer haben den ja. Den zweiten Blick. Nach dem ersten Blick, der erst mal den jungen Töchtern gilt. Der zweite Blick erkennt die Schönheit eines gelebten Lebens. Die Schönheit eines gütigen, weisen Gesichtes, die Schönheit der Lachfalten, in die sich der Humor eingegraben hat.

Es ist doch so: Wenn Gott also auch uns Frauen sterblich geschaffen hat. Dann sind wir doch nicht weniger liebenswert, wenn wir nur sind, wie wir geschaffen sind. Ich bin überzeugt: Gott zieht seinen göttlichen Hut vor Frauen, die ja sagen zu ihrer Sterblichkeit. Und deren äußere Zeichen als sportliche Herausforderung nehmen und annehmen. Um frei zu werden vom Zwang, immer toll aussehen und jedem gefallen zu müssen. Um weise zu werden und gütig.

Ach ja, sollten Sie als Mann diesen anderen, zweiten Blick drauf haben. Den Blick für die innere Schönheit einer Frau. Dann ist es sicher kein Fehler, das auch mal zu ihr zu sagen. „Du siehst toll aus!“ So was muss die Mutter nicht so oft hören wie die Tochter. Aber sie freut sich mindestens genauso drüber.
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