SWR2 Wort zum Tag

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Auch die Ringer treten in Peking an. In ihrem Kampf bildet sich ab, was immer wieder alltäglich läuft. Gewerkschaften und Arbeitgeber ringen um einen Abschluss; Partner, die sich entfremdet haben, ringen darum, ob sie zusammenbleiben oder sich trennen müssen. Auch Märchen und Mythen sind voll von Ringkämpfen. Da will z.B. jemand im Dunkel der Nacht über einen großen Fluss, natürlich hat er panische Angst, wie er es schafft. Die Wasserfluten erscheinen ihm wie ein böser Geist, wie ein Dämon. Er muss mit ihm ringen und kämpfen, damit er’s hinüber schafft. Im Bild des Ringkampfs erzählt das erwählte Volk Israel damals seine eigene Geschichte. In der Gestalt des Stammvaters Jakob spricht es von sich selbst. Im heutigen Jordanien liegt der Fluss, an dem das Ganze spielt. Jakob hat alle seine Leute voraus geschickt und dann heißt es: „Als nur noch er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. Als der Mann sah, dass er ihm nicht beikommen konnte, schlug er ihn aufs Hüftgelenk. Jakobs Hüfgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang.“ Es geht auf Leben und Tod, der Schlag aufs Hüftgelenk zielt nach damaligen Verständnis auf die Geschlechtsteile. Trotzdem erweist sich Jakob als unglaublich stark. Sein Gegner sagt: „Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen.“ Die Nachgestalt hat Angst vor der aufgehenden Sonne, die Zeit scheint ihm wegzulaufen. Jakob lässt ihn nicht aus dem Schwitzkasten und sagt: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ Spätestens hier wird deutlich, wie das alte Märchen vom Flussgeist nun zum Bild wird für Israels Kampf mit Gott. Denn dieser merkwürdige Gegner, der offensichtlich segnen kann und Leben schenkt, gibt Jakob einen neuen Namen, nämlich Israel, und das heißt: Kämpfen mit Gott. Jakob kommt gesegnet und hinkend aus diesem nächtlichen Zweikampf heraus, ausgezeichnet und, ein geschlagener Sieger. In dieser einen Kurzgeschichte sammelt sich die Gotteserfahrung ganz Israels, und die Christen konnten darin ein Vorausbild für den Gotteskampf Jesu sehen.
Eine merkwürdige Vorstellung, dass der Mensch mit Gott kämpfen kann und kämpfen muss. Offenkundig gibt es Lebenssituationen, wo es Spitz auf Knopf steht. Dann muss sich zeigen, ob der Glaube trägt. Es ist Nacht, und es scheint ausweglos, und niemand weiß, wie er rüberkommt ans andere Ufer. Genau da stellt sich die Gottesfrage neu: Der Mensch ringt mit Gott, und Gott kämpft mit dem Menschen, er ringt um sein Vertrauen. Jakob, diese Urgestalt des Glaubens, erringt schließlich Gottes Segen.
Die Ringkämpfe in Peking haben ihre eigene Dramatik, freilich zeitlich begrenzt und in strengen Regeln. Das Ringen mit Gott, Gottes Ringen mit dem Menschen – das ist nicht auf die Zeit der olympischen Spiele begrenzt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4308
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