SWR2 Wort zum Tag

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Seid allezeit fröhlich – dazu fordert Paulus eine Gemeinde auf, die sich mit allerlei Fragen und Problemen herumgeschlagen hat. Ich gestehe: In mir regt sich Widerstand gegen diese Aufforderung. Dass es im Leben viele Gründe zur Freude gibt, kann ja nicht geleugnet werden. Aber sich zu jeder Zeit freuen, das kann doch niemand! Und eine ewig lächelnde Frömmigkeit geht einem eher auf die Nerven. - Was könnte Paulus, der selbst viel gelitten hat, mit seiner Aufforderung meinen?

Meine Vermutung ist: Paulus meint mit seinen Worten, die so übertrieben klingen, eine Einstellung zum Leben, eine Sicht, in der man die Gründe zur Freude nicht aus den Augen verliert, auch wenn man das Belastende im Leben nicht übersieht. Eine ganz andere Sicht kann man bei Franz Kafka finden, an dessen 125. Geburtstag wir in diesem Jahr denken. Er beschreibt sie in einem bedrückenden Bild: Wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge gesehen, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind, und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, dass der Blick es immerfort suchen muss und immerfort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind. Er fügt dann hinzu: Was soll ich tun? Oder: Wozu soll ich es tun? sind keine Fragen dieser Gegenden. Und Freude ist hier schon gar nicht am Platz! Eine verzweifelte Sicht des Lebens! Aber gibt es einen Menschen, der sie nicht auch kennt, der sein eigenes Leben nicht auch schon so gesehen hat?

Kafka meint, man sehe das Leben so mit dem irdisch befleckten Auge. Meint er, dass eine solche Sicht des Lebens mit unserem „befleckten“ Menschsein, mit unseren Grenzen und unserem Scheitern zusammenhängt? – Nicht von ungefähr verbindet Paulus seine Aufforderung, allezeit fröhlich zu sein, mit zwei weiteren: Betet ohne Unterlass! Seid dankbar in allen Dingen! Wer betet, kann alles vor Gott bringen, auch Leid, Schmerzen, sein Scheitern - und kann die damit verbundene Verzweiflung bei ihm abladen. Wer Gottes Liebe glaubt, kann danken – vor allem für sie, aber dann auch für alles Gute im Leben. Durch Danken übersieht man nicht das Gute neben allem Schweren und manchmal entdeckt man es sogar in ihm. Das alles bedeutet nicht, dass nicht auch Christen das Lachen vergehen kann, dass sie im Leid klagen und schreien. Aber durch Beten, durch Danken - und durch das Vertrauen auf Gott und seine Güte wird es letztlich bei einer Sicht des Lebens bleiben, die dann möglich macht zu singen: In dir ist Freude in allem Leide, allezeit! https://www.kirche-im-swr.de/?m=4207
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