SWR2 Wort zum Tag

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13AUG2008
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Berlin

von

In den Sommerferien habe ich eine Woche in Berlin verbracht und bin unter dem Brandenburger Tor spazieren gegangen. „Unser Brandenburger Tor hat schon viel gesehen“ hat Hildegard Knef einmal gesungen. In der Tat! Heute vor 47 Jahren wurde die Mauer gebaut. Das Brandenburger Tor stand im Osten, wer hätte es damals gewagt, hier spazieren zu
gehen?
Wenn ich heute meinen Konfirmanden davon erzähle, schütteln sie den Kopf. Sie sind erst nach 1989 geboren worden und sehen bei einem Hauptstadtbesuch nur noch einen Graffiti-besprühten Rest des Schreckens. So sehr ich es begreifen kann, dass die Berliner ihre Mauer loswerden wollten - ich finde, man sollte eine Erinnerung an die Wunden der Vergangenheit bewahren und sie nicht verniedlichen. Die Mauer war kein ElDorado für Sprayer. Sie war schrecklich. Immerhin - die Kreuze für die, die an ihr starben, stehen am ehemaligen Todesstreifen. Ich finde es ganz wichtig, im Rückblick auch an Leid zu erinnern. Die Bibel bewahrt das Gedächtnis an die Gefangenschaft in Ägypten, an das Exil in Babylon und den Schmerz über den zerstörten Tempel. Damit hat sie Leidenden, auch den aus politischen Gründen Leidenden Worte geschenkt. Die Erinnerung hilft, das Leid zu bewältigen, gerade, indem es nicht verdrängt wird oder verniedlicht. Wie wichtig, dass es heute in Berlin das Holocausdenkmal und das jüdische Mueum gibt. Ein gelungenes Beispiel für Erinnerung von Leid, das zugleich den Blick für Neues öffnet, ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin. Zerborsten sind im 2. Weltkrieg die Mauer der Kirche. Sie sind später nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern als Ruine erhalten worden und direkt daneben wurde eine neue Kirche als Friedenskirche gebaut, als Zeichen der Erinnerung an Unrecht und Leid und
als Hoffnungszeichen. Ich bete gern in dieser Kirche. Es ist ein guter Ort, auch um neue persönliche Wege zu finden, ohne das, was war, vergessen zu müssen. Wie wohltuend, wenn ich mein eigenes Leben mit seinen guten und mit seinen schmerzvollen Zeiten erinnern kann. Inzwischen denken die Berliner darüber nach, einen Teil der Mauer als Denkmal zu rekonstruieren. Gut so! Ich möchte die Zeiten, in denen es mir schwer war, nicht mit Graffiti verschönern müssen, sondern nüchtern anschauen und in der Erinnerung bewahren dürfen.
Zu meinem Leben gehört Leid und Freude, und nichts will ich vergessen.
Höchstens vergeben. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4202
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