SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

11AUG2008
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Mein Freund mag Kieselstrände. Es klickert und klackert in einem sanften Rhythmus, mit
jeder Welle rollen die Kiesel ein Stückchen vor und zurück. „Hörst du, wie die Steine sich bewegen? Sie reiben sich aneinander. In 100 000 Jahren werden diese Kiesel zu Sand zerrieben sein. Dich und mich gibt es dann längst nicht mehr. Es braucht seine Zeit, 100 000 Jahre, aber was ist das schon - ein Augenblick in der Ewigkeit.
Vor mir klackert die Ewigkeit. Eigentlich könnte mich das ja auch traurig stimmen: Was bleibt von mir, noch nicht einmal Staub, weniger als der Sandstrand, zu dem diese Steine unterwegs sind. Das könnte mir auch Angst machen, dass ich so unbedeutend bin. Oder ich könnte mich klein fühlen angesichts dieser Zeitdimensionen, die meine Vorstellung sprengen. Doch ich bin nicht melancholisch, sondern tief getröstet. Mir scheint, es gibt eine tiefere Weisheit in dieser Bewegung des Meeres, jede Welle ist wie ein Hinweis auf meinen Schöpfer, der Kiesel und Meer, Sand und Menschen gewollt hat. Welchen Plan er verfolgt - wer kann es ermessen! Welcher tiefere Sinn liegt darin, dass die Kiesel zu Sand zerrieben werden, welcher Sinn liegt in meinem Leben?
„Tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist“ heißt es im 90. Psalm.
Ich kann keine tausend Jahre ermessen, noch nicht einmal die Jahre meines Lebens. Doch
ich glaube daran, dass der, der Wellen, Sand und Meer, der mich und alle Menschen geschaffen hat, dass ich ihm wichtig bin, dass er jedes Sandkorn kennt und sogar jedes meiner Haare, die jetzt in der Meeresbrise flattern. Mag sein, in 100 000 Jahren ist vor den Augen der Welt keine noch so kleine Spur mehr von mir zu erkennen - für meinen Schöpfer bin ich nicht verloren. Ich greife nach einem flachen Stein. Ob er einmal ein Felsen war, vor einer Million Jahren, gewiss war er schon bei der Entstehung der Erde dabei. Und heute halte ich diesen Stein in der Hand, wiege ihn, dann lasse ich ihn übers Wasser springen. Sogar siebenmal springt er hoch, bevor er wieder im Meer versinkt und sich erneut in den Rhythmus seiner Mitkiesel einfügt. In ihrem Klickern ahne ich die Atemzüge Gottes.
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ bittet Psalm 90. Nichts ist ewig, außer Gott, noch nicht einmal dieser Stein. Doch alles ist geborgen in
Gottes Ewigkeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4200
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